aus: Ein Land, zwei Völker, Martin Buber
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Es gibt von den Anfängen der modernen Zionismus an zwei Grundtendenzen in ihm, die zueinander in einem, bis in die Tiefe der menschlichen Existenz reichenden Gegensatz stehen. ...
Die eine verstand unter "Wiedergeburt", daß von neuem ein echtes Israel aufkomme, in dem nicht, ... Geist und Leben nebeneinander bestehen, jedes von beiden ein Bezirk eigenen Gesetzes, sondern der Geist sich das Leben baut wie sein Haus, ja wie sein Fleisch...
Die andere Tendenz verstand unter "Wiedergeburt" einfach: Normalisierung. Zu einem "normalen" Volk gehören Land, Sprache und Selbständigkeit; diese müssen wir wiederbekommen, alles andere braucht uns nicht zu kümmern. ...
In der Wirklichkeit der Geschichte geht es nicht so zu daß man sich ein gerechtes Ziel setzt, einen Weg dazu wählt, wie ihn etwa die Gunst der Stunde darbietet, und auf diesem Weg das gesetzte Ziel auch erreicht. Damit das erreichte Ziel dem gesetzten gleiche, muß diesem der Weg in seinem Wesen gleichen. Ein falscher, das heißt zielwidriger Weg führt zu einem falschen Ziel.
Was durch Lüge zustande gebracht wird, kann die Maske der Wahrheit, was durch Gewalt zustande gebracht wird, die Maske der Gerechtigkeit vorbinden, und eine Weile mag
die Täuschung gelingen; aber bald wird erkannt, daß die Lüge in ihrem Wesen Lüge und die Gewalt in ihrem Wesen Gewalt geblieben ist, und sie werden das geschichtliche Los alles Falschen erfahren.” Die Lehre des Jesaja sollte uns bei unserem Tun leiten: »Zion wird mit Gerechtigkeit erlöst« (Jes. 1,27). S.33
Was jedes der in Palästina nebeneinander und durcheinander lebenden Völker tatsächlich braucht, ist Selbstbestimmung, Autonomie, freie Entscheidungsmöglichkeit. Das bedeutet aber keineswegs, dass es einen Staat braucht, in dem es dominiert.
Die arabische Bevölkerung braucht zur freien Entfaltung ihrer Kräfte keinen arabischen Staat und die jüdische braucht zur freien Entfaltung der ihren keinen jüdischen; beides kann in einem binationalen Gemeinwesen gewährleistet sein, in dem jedes Volk seine spezifischen seine spezifischen Angelegenheiten verwealtet und beide miteinander ihre gemeinsamen.
Die Forderung des arabischen Staates und die des Judenstaates gehören beide jener Kategorie des “Mehr” an, des Mehrhabenwollens als man wirklich braucht. Ein binationales Gemeinwesen mit möglichst weitgehend abgegrenzten Siedlungsbezirken und möglichst weitgehender wirtschaftlicher Kooperation, mit vollkomener Gleichberechtigung beider Partner, ohne Rücksicht auf die jeweilige zahlenmäßige Proportion und mit einer auf diesen Voraussetzungen aufgebauten gemeinschaftlichen Souveränität würde beiden Völkern das geben, was sie wirklich brauchen.
Keins der beiden hätte dann noch zu fürchten durch das andere majorisiert zu werden S.261
Wir pflegen unser Programm als das eines binationalen Staates zu bezeichnen. Damit soll gesagt sein, daß ein Gemeinwesen angestrebt wird, das auf der Realität des Zusammenlebens zweier Völker errichtet ist und dessen onstruktive Grundlagen daher andere sein müssen, als die ohnten und verbrauchten von Majorität und Minorität. Wir meinen aber damit nicht einen beliebigen binationalen Staat, sondern eben diesen besonderen, unter diesen besonderen Voraussetzungen entstandenen, einen also, in dessen konstruktive Grundlage die unerläßlichen Postulate der erungsaktion des jüdischen Volkes als Magna Charta "eservation um einzubauen sind. Wir meinen, daß dies uns 2 ut, und nicht ein »Judenstaat«, weil ein winziger onalstaat mitten in einer großen feindlichen Umwelt - organisierten nationalen Selbstmord bedeuten würde
S. 275
jetzt sind wir angegriffen worden. Wer hat uns denn angegriffen? Doch diejenigen, welche sich im Grunde von uns angegriffen fühlten, d. h. durch unsere friedlichen Eroberungen. Sie klagen uns an: »Ihr seid Räuber « Und was antworten wir? »Dies ist unser Land, in welchem wir vor zweitausend Jahren große Dinge geschaffen haben«.
Sollten wir wirklich erwarten, daß sie dies unverzüglich anerkennen würden? Täten auch wir dieses an ihrer Stelle?
Genug davon. Machen wir doch endlich Schluß mit leeren Worten. Die Wahrheit ist, daß wir den Angriff friedlich begonnen hatten, als wir in das Land eindrangen. Wir taten dies, weil wir dazu gezwungen waren, für unser Volk ein selbständiges, produktives, ihm angemessenes Leben zu erreichen. Da dies auf die Dauer nurin Übereinkunft mit dem zweiten Volk gelingen kann hängt alles davon ab, ob wir das zweite Volk – mit Taten natürlich und nicht nur mit leeren Worten - davon überzeugen können, daß unser Angriff schließlich kein Angriff sei, d. h., daß auf diese Weise das Gefühl für eine Interessengemeinschaft entstünde.
Welcher Art sollten die Taten sein, die diesen Weg vorbereiteten? Dies wäre in positive Hinsicht die Entwicklung wirklicher Interessengemeinschaft durch Eingliederung des zweiten Volkes in unsere Wirtschaftstätigkeit hier im Lande.
S. 293
Wir brauchen die Araber - die Araber brauchen uns! Ein Interview (1955)
Frage: ... angesichts der Tatsache, dass der Hass im Nahen Osten immer größer wird, besteht Ihrer Meinung nach noch immer die Hoffnung auf ein Übereinkommen der beiden Völker?
Antwort: ... ich glaube, daß der Tag nicht fern ist an dem es möglich ist, zu einem Abkommen zu gelangen was Zusammenarbeit und dessen äußere Form die Beteiligung Israels aan einer Föderation der Völker des Nahen bedeutete. Ich befürworte ja eine solche Föderation schon seit vielen Jahren. Es ist selbstverständlich, daß eine solche Föderation nur so zu errichten ist, daß ihre Grundbedingung nicht auf dem gewohnlichen Wege abgeändert würden, dass eine Mehrheit ihren Willen der Minderheit aufzwänge.
Frage: Sind Sie der Überzeugung, daß wir nicht genug unternommen haben, uns dieser Zusammenarbeit zur rechten Zeit zu versichern?
Antwort: Meiner Meinung nach bestand unser Hauptfehler darin, daß wir nicht, sofort nachdem wir hierher kamen, bemüht waren, Vertrauen im Herzen der Araber zu erwecken, politisch und wirtschaftlich. Wir haben dem Argument vorgearbeitet, daß wir Fremde seien, Leute von draußen, und daß wir an einem Zusammenschluß mit den Arabern nicht interessiert wären. Dies öffnete allen späteren Konflikten Tür und Tor.
Frage: Sie und Ihre Freunde haben doch davor gewarnt?
Antwort: Wir haben das unsere gesagt. Doch unsere Stimme wird nicht gehört. In der Politik urteilt man nach dem Erfolg. Als der Staat errichtet wurde, verließen uns mehrere Weggenossen. Sie meinten, das Problem wäre gelöst. Ich habe ihnen nicht geantwortet, denn in meinem Herzen war Furcht. Doch in der jetzigen Situation ist es Pflicht jedes seiner Sache ergebenen Mannes, seine Meinung offen zu sagen. ...
Frage: Von wem erhoffen Sie sίch dies?
Antwort: Es ist beinahe sicher daß die Sache zunächst nicht populär sein wird, lauert doch im demokratischen System jede Partei auf den Mißerfolg der anderen Es gehört viel Mut dazu, diese Änderung hervorzurufen.
Frage: Was wäre Ihrer Meinung nach die Hauptsache dieser Erneuerung?
Antwort: Wir befinden uns in einem entsetzlichen geistigen und moralischen Niedergang. Aber ich verzweifle nicht. Wir müssen zu der uns auszeichnenden Wahrheit zurückfinden zum nationalen Universalismus, der auch durch unsere geopolitische Situation unbedingt erforderlich ist. Dies war schon immer das Programm des Zionismus, der des Namens Zion würdig ist. Nationaler Universalismus heißt, der Nation eine feste Grundlage für ihren Anteil bei der Verwirklichung echter Menschlichkeit zu sichern. Wir wurden Zionisten, um diese Angelegenheit aus dem Bereiche des Wortes in den Bereich der Tat zu führen. Zum nationalen Universalismus zurückzufinden heißt, jene Verderbnis zu bekämpfen, die uns die Tore zum Nationalismus geöffnet hat
Frage: Würden Sie denn sagen, daß der Staat Israel die Verwirklichung dessen bedeutete, was Sie sich vor fünfzig Jahren erträumt haben?
Antwort: Ich und meinesgleichen haben niemals die nationale Unabhängigkeit für ein Ziel an sich gehalten, sondern für eine Grundlage, ohne die die Erneuerung nicht zu verwirklichen ist. Unsere Hoffnung war, dass uns Zeit gegeben würde, die Ansiedlung oragnisch zu entwickeln, um sie zu einer gesunden gesellschaftlichen und politischen Körperschaft zu machen.
Frage: Wurde diese Hoffnung enttäuscht?
Antwort: Man darf niemandem dafür die Schuld geben, daß dies nicht zur Ausführung kam. Die tragische Geschichte unseres Volkes kam über uns in einer Wolke von Drangsal und Verfolgungen und erschwerte unseren Weg Es entstand ein Druck von Heimatlosen und Evakuierten, ein Druck, dem nicht nur die Zionisten nicht widerstehen konnten, auch einige internationale Staatsmänner sahen die Sache als ein Urteil der Geschichte an. So entstand der Staat aus einer momentanen Zwangslage. Natürlich sind viele übereilte Schritte unternommen worden, die der Entwicklung des Staates in der Zukunft geschadet haben
Frage: Ihr Kreis, Prof. Buber hatte einen Staat anderer Art im Sinne?
Antwort: Die meisten Zionisten wollten vor allem einen Staat, die Leute unseres Kreises betonten demgegenüber, die Hauptsache sei, auf welche Weise wir dazu gelangen würden. Sie wollten eine organische Entwicklung, an deren Ende ein Staat erblühte, der das Lebenszentrum des Nahen Ostens würde. In ihm würden die Juden ihre verborgenen schöpferischen Kräfte wiederentdecken. Wir hofften auch, daß diese Schöpfung sich allgemein auf dem Glauben aufbaute und insbesondere auf gegenseitigem Vertrauen.
S. 338 - S. 343
Im Dezember 1964 veröffentlichte die tunesische Wochenschrift »Jeune Afrique«, eine führendes Forum für afro-arabische Angelegenheiten, einen dramatischen Leitartikel ihres Herausgebers Baschir Ben-Yahmed, in welchem er die arabische Welt aufrief, sich mit der Existenz des Staats Israel abzufinden:
Der Staat Israel ist, so bedauernswert seine Schaffung auch sein mag, eine Tatsache, die nicht ausgelöscht werden kann, außer durch Krieg, dessen einzige Gewißheit das Leiden und die Zerstörung sind, die ihm folgen werden . . . Die wirkliche Lösung liegt daher entweder in der Konsolidierung von Israel - eine Sisyphus-Arbeit -oder in seiner Vernichtung. Sie könnte in dem Verschwinden aller Staaten in dieser Region liegen und in ihrem Zusammenschluß in einer Föderation der Staaten des Mittleren Ostens, in der Israel, nachdem es einen Tal der arabischen Flüchtlinge zurückgenommen und die anderen entschädigt hätte, nicht mehr ein souveräner und feindlicher sei, sondern ein föderativer Staat wie Texas oder Kalifornien, der mit den anderen innerhalb eines Rahmens verbunden wäre, welcher der von Vereinigten Staaten des Mittleren Ostens sein könnte.
New Outlook, eine englischsprachige, der arabisch-jüdischen Verständigung gewidmete israelische Zeitschrift, lud führende israelische Persönlichkeiten ein, ihre Reaktion zu Ben Yahmeds Leitartikel mitzuteilen.
Die Antwort de 87jährigen Martin Buber war sein letzter, vor seinem Tod (am 13. Juni 1965) veröffentlichter Aufsatz.
ES IST AN DER ZEIT, EINEN VERSUCH ZU MACHEN!
Ich kann zu der erfreulicherweise von der »Jeune Afrique« eingeleiteten Diskussion nur einiges mir grundsätzlich wichtig Scheinende beitragen.
1. Es besteht für mich kein Zweifel daran, daß es die Schicksalsfrage des Nahen Orients ist, ob eine Verständigung zwischen Israel und den arabischen Völkern zustande kommt, solange noch eine Möglichkeit dazu besteht. Wie lange eine solche Möglichkeit besteht, ist uns zu wissen nicht gegeben. Der Ruf zur Verständigung, der jetzt zum erstenmal aus einem arabischen Lande zu uns dringt, kann, wenn er im arabischen Volk überhaupt ein Echo findet, von historischer Bedeutung werden.
2. Ebenso gewiß ist es mir, daß eine Verständigung zwischen den arabischen Völkern und Israel auf nichts Geringeres ausgehen darf, als auf eine Föderation oder, wie ich lieber formuliere: Konföderation (wie einige meiner Freunde und ich sie schon zur Zeit der Entstehung des Staates Israel gefördert haben).
Man darf die Situation, in der unsere Völker stehen, mit der heutigen Weltlage überhaupt vergleichen: Der Untergang des Menschengeschlechts wäre nicht verhütet, er wäre nur verlangsamt, wenn an Stelle des kalten Krieges nur der Nichtkrieg träte: es muß nicht weniger als echte Kooperation an den großen gemeinsamen Problemen werden.
3. Es ist freilich unerläßlich, daß zunächst eine Klärung erfolgt, was im gegebenen Fall unter dem Begriff einer Föderation zu verstehen ist. Der Verfasser des Aufsatzes in der »Jeune Afrique« denkt an ein Verhältnis wie »zwischen Texas und Kalifornien«. Die Voraussetzungen sind aber hier und dort grundverschieden. In allen Teilen der USA lebt die gleiche, gleich gemischte Bevölkerung; im Nahen Osten handelt es sich um zwei verschiedene, wenn auch verwandte, Nationen. Zum Vergleich könnte man immerhin etwa die Schweiz heranziehen. Daher ist hier unerläßliche Voraussetzung einer föderativen Verbindung, daß jedem der beiden Partner die volle nationale Autonomie gewahrt bleibt; keiner von beiden darf den nationalen Bestand des andern in irgendeinem Punkte verletzen. (Daher dürfen weder die Juden den Arabern noch auch die Araber den Juden - wie es leider im Aufsatz der »Jeune Afrique« geschieht - an der Form ihrer nationalen Bewegung Kritik üben).
4- Damit ein so großes, so fast präzedenzloses Werk gelingt, ist unerläßliche Voraussetzung, (auch darin hat der Verfasser des Artikels unbedingt recht), daß geistige Vertreter der beiden Völker miteinander in ein echtes Gespräch kommen, in dem sich gegenseitige Aufrichtigkeit und gegenseitige Anerkennung verbinden.
Nur ein solches Gespräch kann zu einer Reinigung der Atmosphäre führen, einer Reinigung, ohne die schon die ersten politischen Schritte auf dem neuen Wege missglücken würden. Die geistigen Vertreter müssen in vollem Sinne des Wortes unabhängige Menschen sein, Menschen also, die durch keinerlei Rücksicht gehindert werden, der Sache, die sie als wahr und gerecht erkannt haben, rückhaltlos zu dienen.
Ob jetzt und hier ein solches Gespräch zwischen solchen Menschen zustande kommt, wird weit über das Gebiet des Nahen Ostens hinaus von Bedeutung sein: es wird sich daran zeigen, ob in dieser späten .Stunde des Menschengeschlechts der Geist wirklich Einfluß auf die Geschichte hat.
S. 388
© H e r b e r t A n t o n i u s W e i l e r