Textauszug

Der Essay ist enthalten in dem Buch Die Vögel und die Farben >>



Achtsamkeit, engl. mindfulness, ...

Achtsamkeit ist ein Zustand ..., in dem ein Mensch hellwach die gegenwärtige Verfasstheit seiner direkten Umwelt, seines Körpers und seines Gemüts erfährt, ohne von Gedankenströmen,, Erinnerungen, Phantasien oder starken Emotionen abgelenkt zu sein, ohne darüber nachzudenken oder diese Wahrnehmungen zu bewerten. ...

Historisch betrachtet ist „Achtsamkeit“ vor allem in der buddhistischen Lehre und Meditations­praxis zu finden.(Vipassana). Die "vier Grundlegungen der Achtsamkeit" sind nach dem Satipatthana Sutta - die Achtsamkeit auf den Körper - die Achtsamkeit auf die Gefühle/Empfindungen  - die Achtsamkeit auf den Geist - die Achtsamkeit auf die Geistesobjekte

aus der deutschen Wikipedia

 

Treffer für "Mindfulness" (englisch für Achtsamkeit) in der medizinischen Datenbank "pubmed" pro Jahr: 2001 = 42 Treffer ... 2017 = 1060 Treffer

aus: zeit online >>

 

 

Mindfulness - Achtsamkeit

 

 

- Im letzten Film, den Milos Forman noch in der damaligen Tschechoslowakei drehte, bereitet eine Dorfgemeinschaft ein Fest vor, den Feuerwehrball, so auch der Titel des Films. Ein Festsaal wird geschmückt, auf einem Tisch werden Delikatessen präsentiert, man hängt Girlanden auf, eine Tombola und ein Schönheitswettbewerb sollen stattfinden. Der Bürgermeister präsentiert dem Festkomitee den Entwurf seiner Rede. Man findet sie leidlich gut, aber etwas, so meint auch der Bürgermeister, würde noch fehlen, er wisse noch nicht genau was, es sei ein bestimmter Begriff. So sei die Rede noch nicht ganz vollständig. Man sucht und assoziert angestrengt, schließlich fällt jemandem das Wort ein: Solidarität. Es ist gefunden, die Solidarität hat gefehlt. Ein Aufatmen. Nun sind alle zufrieden, die Rede ist fertig.

 

- Formans Spott über die sozialistische Phraseologie, in der eine Verlautbarung, und handle es sich auch nur um einen Kantinenspeiseplan, ohne das Wort Solidarität kaum vorkam, lässt sich mühelos auf heutige öffentliche Reden und Medienberichte übertragen. Etwa die Wendung vor Ort, auf die in kaum einer Nachricht verzichtet werden kann, oder die Neigung zum germanischen Stabreim - der Schritt in die richtige Richtung.

 

- Ein ebenso unverzichtbares Signal kollektiver Übereinstimmung ist das Wort achtsam geworden. Ursprünglich aus der Esoterik bzw. der westlichen Rezeption des Buddhismus kommend, fehlt es mittlerweile in kaum einem Text der Öko- und der Psychoszene oder des Erziehungsbetriebs, auch in politischen Reden taucht die weihevolle Floskel seit einiger Zeit auf.

 

- Das Adjektiv ist im Deutschen schon älter. Es war allerdings, im Unterschied zu seiner Negation unachtsam, kaum mehr in Gebrauch. Gebräuchlich ist aufmerksam. Die Endung sam deutet das Zusammen mit der betreffenden Eigenschaft an. Das englische the same für das Selbe bezeugt noch die alte Anwendung des Wortes, das im Deutschen nur noch als Suffix existiert. Wenn jemand als tugendsam, regsam oder enthaltsam bezeichnet wird, so ist damit ausgesagt, dass die jeweilige Eigenschaft mit ihm verbunden ist. Achtsam bezeichnet demnach einen aufmerksamen Umgang mit etwas.

 

- Im Zuge der Neo-Buddhismus-Welle erfuhr der Begriff jedoch eine Umdeutung. Das Adjektiv achtsam richtet sich nicht mehr auf ein bestimmtes Objekt, sondern sollte für eine umfassende, anzustrebende Haltung stehen, die Achtsamkeit, die seither als Übersetzung des englischen Mindfulness gilt. Durch der Substantivierung ist es zu einer abstrahierten Form geworden. Sie richtet sich nicht mehr auf ein bestimmtes Gegenüber des Subjekts, sondern das Subjekt  soll sich im Sinne einer Haltung gleichsam selber gewahren. 

 

- Der Unterschied der neuen Bedeutung zum ehemaligen Synonym aufmerksam und dessen Substantiv Aufmerksamkeit wird in der Anwendung anschaulich: So kann ein Redner die Zuhörerschaft zwar um Aufmerksamkeit bitten, eine Bitte um Achtsamkeit aber erschiene wegen des weihevollen Appells an eine grundsätzliche Haltung als verhoben.

 

- Eine Achtsamkeit ohne Beziehung verbleibt in der Zelebrierung der eigenen Subjektivität und verdrängt - dies gerade angesichts der häufigen Betonung des Hier und Jetzt - die Gegenwart der Begegnung.

 

 

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(C) Herbert Antonius Weiler 2020