Der Essay findet sich in
dem Buch:
Martin Buber und Theodor Herzl
Zwei Gesellschaftsauffassungen, Bubers Kulturzionismus und Herzls Volkszionismus als Entsprechungen zu den Tierkreisphasen Wassermann und Stier
Martin Buber leitete aus dem Judentum einen essentiellen Anarchismus ab, in dem die Gesellschaft nicht durch einen übergeordneten Staat bestimmt ist, sondern durch die Beziehungen der Individuen, entsprechend seiner Philosophie des Ich und Du. Ein solches Gemeinwesen ist ein föderatives, gewachsen aus den persönlichen Beziehungen, aus denen sich in freier Bewegung Verbände entwickeln und daraus Verbände von Verbänden. Staatlich zentralistische, kollektive Organisationsformen stehen dazu im Widerspruch.
Martin Buber: Wirkliche Menschheit [ist] eine Föderation von Föderationen. … Ein großer Menschenverband ist nur dann so zu nennen, wenn er aus kleinen lebendigen Gemeinschaften, aus kräftigen Zellenorganismen unmittelbaren Miteinanderseins besteht, die zueinander in gleich direkte und vitale Beziehungen treten, wie die ihrer Mitglieder sind, und die sich in gleich direkter und vitaler Weise zu diesem Verband zusammenschließen, wie ihre Mitglieder sich zu ihnen zusammengeschlossen haben ...
aus: Pfade in Utopia / Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, 1950
Martin Buber verweist auf den anarchistischen, föderativen Grundgedanken auch anhand der biblischen Geschichte: Die Israeliten bildeten, nachdem sie unter der Führung Josuas das gelobte
Land erreicht hatten, kein Kollektiv, sondern ein föderatives Gemeinwesen, die zwölf Stämme, ein Verband von Verbänden, deren Zusammenwirken nicht durch einen zentralistischen Staat, sondern
durch eine gemeinsame, gewachsene Kultur bestimmt war.
Diese, als Zeit der Richter benannte Phase endete, als die Ältesten in Israel bekundeten, auch einen König, wie die anderen Völker , haben zu wollen: Setze einen
König über uns, zu richten, wie ihn die Völker haben (1.Sam, 8).
König David, der Nachfolger des, ersten Königs, des glücklosen Saul, führte später die erste Volkszählung durch, die in der Bibel als Vergehen geschildert wird: Der
Hinderer stand gegen Israel auf und reizte David, Israel zu zählen ... Und diese Sache war übel in den Augen Gottes (1 Chronik,
21).
Gott wollte die Kinder Israels nicht als Zähl- und Messmenge behandelt sehen.
Eine erste Kennzeichnung des Wissenschaftsdenkens und des staatlichen Verwaltungzwanges.
(...)
In seiner Auffassung des Zionismus lehnte Buber daher die Errichtung eines jüdischen Staates im damaligen Palästina ab, zugunsten einer nicht-staatlichen Gesellschaft, einer lockeren, heterogenen Föderation, eines Bundes von Bünden, unter konföderativer Einbeziehung der Araber. Die betreffenden Schriften Bubers wurden 1993 unter dem Titel Ein Land, zwei Völker als Buch herausgegeben.
Ein israelischer Staat erschien ihm als eine nationale Assimililation des Judentums und im Widerspruch zur jüdischen Ethik, die er im wesentlichen Sinne als ein Dialogisches Prinzip begriff.
Als die Befürworter einer Staatsgründung sich in der zionistischen Bewegung schließlich durchsetzten, plädierte Buber für einen bi-nationalen Staat von Juden und Arabern, ähnlich den ethnisch-heterogenen Verhältnissen in Belgien oder der Schweiz.
Bubers anarchistischer Kulturzionismus, basierend auf dem Gedanken einer essentiellen jüdischen Ethik der Ich-Du-Beziehung, letzthin unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, aus der heraus das Gemeinwesen erst erwachsen sollte, widersprach dem Volkszionismus Theodor Herzls, der eine Nationalstaatsgründung als Voraussetzung der Bildung eines jüdischen Gemeinwesens betrachtete.
In den Positionen des Kulturzionismus Martin Bubers und des Volkzionismus Theodor Herzls, stehen sich zwei gesellschaftliche Auffassungen gegenüber: die einer dezentralistischen, föderativen Beziehung von Verbänden, die sich aus gewachsener kultureller Nähe zu einem Bund von Bünden fügen, bei der das Gemeinwesen durch die Beziehung der Individuen bestimmt ist, ähnlich der griechischen Polis -
und die einer Position in der die Gemeinschaftsbildung der Revierbildung und dem Schutz dient.
Bei Letzterer wird der Zusammenschluß nicht als Folge, sondern als Voraussetzung der gesellschaftlichen Organisation aufgefasst, womit eine Formalisierung und zentralistische Regelung dem Gemeinwesen vorangestellt wird, der das Leben des Einzelnen unterworfen ist und in der die Individuen letztlich als Funktionen der Gemeinschaft betrachtet werden.
Herzls Argumentation
zur Bildung eines jüdischen Nationalstaates war dabei die des beidseitigen Nutzens: angesichts der Anfeindung, die die Juden seitens der nationalstaatlich organisierten
Gesell-schaften als nicht volkszugehörige Fremde erfuhren, würden Juden in einem eigenen Staat unbehelligt leben können. Zugleich würden die Nationalstaaten der ungeliebten Juden
entledigt.
Für Herzls Pragmatismus waren kulturelle oder religiöse Aspekte, wie die Identifi-zierung des Judentums mit dem Lande Israel, zunächst unerheblich. So war vorläufig die Errichtung eines jüdischen Staates in Uganda oder Argentinien erwogen worden.
Im astrologischen Bild der ersten Zionistischen Konferenz ist diese Argumentation Herzls anhand der Neptun-Pluto-Konjunktion im Zeichen Zwillinge ersichtlich:
Neptun und Pluto waren am 2. 8. 1891 auf 8, 6° Zwillinge in Konjunktion getreten. Als Konstellation der Epoche stellt dies jene Entwicklung der Nationalstaaten dar, in der sich die Vorstellung von der Reinerhaltung einer völkischen Geschlossenheit als kollektive Regelung abzeichnet, mit der das Fremde, dem kollektivistischen Volksbegriff nicht Zugehörige, zum Träger des Verdrängten gemacht, und letztlich eliminiert werden soll.
Diese Entwicklung war bereits im Zuge der französischen Aufklärung, mit der Definition des Volkes als das natürliche Bestimmende des Staates, eingeleitet worden (Rousseau).
Die öffentlich in Frankreich zutage tretende Judenfeindschaft im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre, in der 1894 ein jüdischer Hauptmann der französischen Armee in einem rechtswidrigen Verfahren wegen Landesverrats verurteilt wurde, war es, die Herzl zu seinem Buch Der Judenstaat veranlasst hatte.
Die Dreyfus-Affäre, drei Jahre vor der ersten Zionistischen Konferenz, ist im Horoskop der Konferenz als Neptun-Pluto-Auslösung ersichtlich, ausgelöst durch Skorpion, der ins erste Haus ragt.
Die Zionistische Konferenz, sechs Jahre nach Eintritt der Pluto-Neptun-Konjunktion, beginnend, am 29.8.1897, erscheint damit als Reaktion, das Thema aufgreifend, mit dem Ziel, ebenfalls einen Nationalstaat zu bilden, wie ihn die anderen Völker haben (...)Daher Bubers Einwand, die Gründung eines jüdischen Nationalstaates sei gegen das Wesen des Judentums und führe zu einer nationalen Assimilation.
Im Sinne eines prinzipiellen Anarchismus, in dem der Einzelne in einer dialogischen Beziehung zu Gott steht, entspricht die Situation des Judentums unter den Staaten der Konstellation von Mars/Pluto, die gegen den Zwang staatlicher Kollektive steht.
Wenn es, wie die anderen, auch einen Staat haben will, anstatt ein gewachsenes Gemeinwesen zuzulassen, steht es in der Unterwerfung des Mars-Pluto - es erhält kein Recht unter den Nationalstaaten. Dies, weil die Forderung der Individuation des Menschen essentiell ist.
Das Ansinnen der Ältesten zum Ende der Zeit der Richter, auch einen König, wie die anderen Völker haben zu wollen, fällt im Horoskop, 2900 Jahre zuvor, gerechnet im 343-Jahres-Rhythmus pro Haus, unter die Auslösung des Neptun in Haus neun, 8,45 Phasen vor dem Ereignis.
Es verhält sich hiermit ähnlich, wie mit dem föderativen, kulturellen Zusammenhalt der deutschen Länder nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches; eine Zeit des kulturellen Reichtums und zugleich der gelebten Schwäche - bevor das Preußentum diese Form des föderativen Gemeinwesens in den deutschen Nationalstaat zwang - die Kleindeutsche Lösung unter Ausschluß Österreichs, womit der ursprüngliche, heterogene Reichsgedanke eliminiert war - zugunsten eines Nationalstaates, der sich das Etikett des alten Reichsgedankens zulegte.
Der im Judentum und damit auch im Christentum angelegte Anarchismus, wird in der Bibel in der Geschichte des Hiob artikuliert:
Hiob ist vom Schicksal geschlagen. Zuletzt hat er alles verloren, Haus und Besitz, Frau und Kinder, schließlich auch seine Gesundheit.
Er sitzt von Aussatz bedeckt auf einem Aschehaufen und klagt vor Gott, dass und warum ihm das alles widerfahren sei.
Seine Freunde finden sich ein und wollen ihn in seiner Beschwerde mäßigen. Irgendetwas, so mutmaßen sie, habe Hiob falsch gemacht, gegen eine Regel müsse er verstoßen haben, da er sonst nicht so geschlagen sein könne.
Gegen nichts, antwortet Hiob, habe er verstoßen, nichts unterlassen, seine Treue sei unumstößlich, und doch sei ihm all das geschehen.
Er schreit sein Warum? zu Gott.
Dieser antwortet ihm schließlich aus dem Wetter, wie es heißt.
Gott führt dann einen persönlichen Dialog, ein in dieser Form noch nie dagewesenes argumentatives Zwiegespräch mit Hiob.
Gott fragt ihn, wo er war, als er die Welt aus dem Nichts erschuf.
Er erklärt ihm, dass sein Ratschluß nicht ableitbar sei, sondern ein Neuanfang. Hiobs Freunde aber hätten sich versündigt, weil sie den Ratschluß Gottes durch die Einhaltung von Regeln hätten kalkulierbar machen wollen.
Nur wenn Hiob für sie ein Opfer darbringe, würde ihnen dies nicht zum Verhängnis werden.
Eine ähnlich anarchistische Absage an die Regel-Gerechtigkeit spricht Jesus aus, in dem Beispiel des einen reuigen Sünders, über den sich, weil er in der persönlichen Entscheidung steht, der Himmel mehr freut, als über neunundneunzig Gerechte, die sich an die Regeln halten. Luk. 15,7
Das Judentum stellt für Martin Buber die Initiierung und Anleitung zur Ich-Du-Beziehung dar, das Dialogische Prinzip, durch das der Mensch zur Person wird. Die Hiob-Geschichte erzählt davon.
Martin Buber wurde am 8. Februar 1878 in Wien geboren, Theodor Herzl am 2. Mai 1860 in Budapest.
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Die Gleichsetzung von Volk und Staat entwickelte sich im Zuge der französischen Aufklärung.
So propagierte Rousseau im Sinne seines Zurück zur Natur die Aufhebung der gesellschaftlichen Identifizierung mittels Adel und Kirche, zugunsten einer, in seinen Augen natürlichen gesellschaftlichen Identifizierung über das Volk.
Ethnische Vereinheitlichung und ein Vergemeinschaftungszwang sind darin bereits angelegt.
Anschaulich wird diese Entwicklung am Beispiel des französischen Nationalstaates, der gleichsam den ersten seiner Art in Europa bildete: gewachsene, autonome Regionen wie etwa die Bretagne wurden zunächst im Zuge der Entwicklung des Absolutismus entmachtet und in ihrer Eigenständigkeit beschnitten. Mit der Französischen Revolution wurden dann schließlich noch verbliebene Autonomie, eigenes Parlament und eigener Gerichtshof aufgehoben und beseitigt, um die Bretagne einem zentralistischen französischen Einheitsstaat einzuverleiben.
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(c) herbert antonius weiler 2014
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