Josef Beuys und der Lockdown

 

 

 

 

- Ein Freund, der in Düsseldorf bei Josef Beuys studiert hatte, erzählte eine Begebenheit.

Beuys lag damals mit dem Landesministerium im Streit, weil er die Aufnahmeprüfungen der Düsseldorfer Akademie ignoriert und jeden, der nur wollte, als Studenten zugelassen hatte. Nach längerem Hin und Her hatte der Ministerpräsident ihm gekündigt. Es folgte ein Prozess gegen das Ministerium.

Es war Ende der 1970er Jahre nach einer Ausstellungseröffnung im Ruhrgebiet. Beuys und einige Schüler seiner ehemaligen Klasse wollten, wie im Anschluss einer Eröffnung üblich, noch gemeinsam in einem der örtlichen Lokale ein Bier trinken. Die Veranstaltung hatte recht lange gedauert und es ging auf Mitternacht zu. Die Gaststätten in der Nähe waren schon geschlossen. Schließlich fand man in einer Seitenstraße ein Lokal, das noch Betrieb hatte.

Man trat durch die Tür und befand sich in einem eher öden Schankraum, links die Theke, rechts erstreckten sich bis zu einem angrenzenden Raum Tische, an denen vereinzelt Männer saßen, ihr Bier tranken und dazu eine Bockwurst mit Kartoffelsalat aßen. Dabei schauten sie auf eine kleine Filmleinwand an der Wand des angrenzenden Raumes. Dort liefen fortwährend Pornofilme, deren Kulisse ahnen ließ, dass sie hier schon seit Jahrzehnten im Dauerbetrieb gezeigt wurden.

Der Raum erschien bedrückend, aber nachdem man nun schon eine Strecke Wegs gegangen war, um den Abend mit einem gemeinsamen Bier zu beschließen, auch keine andere Kneipe mehr geöffnet schien, entschloss man sich zum Bleiben. 

Beuys und seine Studenten stellten sich an die Theke. Die Stimmung war beklemmend. Lange bleiben wollte hier keiner. Nachdem jeder rasch sein Bier getrunken hatte, war man sich einig zu gehen. Als man sich nach dem Bezahlen zum Verlassen des Lokals bereit machte, drehte Beuys sich plötzlich zu den Tischen um und fasste das Klientel ins Auge. Alle Blicke fielen auf ihn. Er richtete den Finger auf einen nach dem anderen der an den Tischen sitzenden Männer während er sagte: Du bist ein Schwein. Und Du bist ein Schwein. Und Du bist ein Schwein. 

Stille trat ein. Der Freund und seine Kameraden aus der Beuys-Klasse erwarteten nicht, das Lokal noch unbeschadet verlassen zu können. Aber niemand von den Gästen machte Anstalten. Beuys wandte sich um und verließ mit seinen Schülern unbehelligt das Lokal, um in die Nacht hinauszutreten. 

 

-  Er war schon mal angegriffen worden, etwa zehn Jahre zuvor, bei einer Fluxus-Aktion. Ein Besucher war auf ihn zugeeilt und hatte ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. Beuys reagierte, indem er ein Kreuz hochhielt. Auf einem berühmten Foto ist er mit blutender Nase zu sehen, das Kruzifix erhoben.

 

- Was war der Anlass?

 

-Seine Hose sei bei der Aktion beschmutzt worden, hatte der Angreifer gerufen. Aber das war sicherlich nicht der Grund für die Erregung. Beuys provozierte. Es war der belehrende wie auch beharrliche Duktus und die Stringenz seiner Vorträge gepaart mit der Absurdität der Räume, die er baute und der Materialien, die er zusammenstellte. Seine Begründungen legte er folgerichtig dar und zugleich waren sie dem Konsens damaliger bürgerlicher Fassbarkeit enthoben. 

Exemplarisch ist der Metallkoffer, den er auf der Düsseldorfer Von-hier-aus-Ausstellung zeigte. Ein kleiner aufgeklappter Handkoffer aus Aluminium, darin rechts die gelbe Reclamausgabe des Kategorischen Imperativs von Kant, links daneben eine Flasche Maggie mit dem rot-gelben Etikett. Das Werk mit dem Titel ich kenne kein weekend war schon älter. Auf die Frage, was diese Zusammenstellung bedeute, hatte er geantwortet, Kants Kategorischer Imperativ habe auch schon immer sehr viel Magie enthalten.

 

- Gute Antwort. Vor allem, weil sie stimmt.

 

- Die Wahl seiner stilistischen Mittel, Fett, Filz, Heftpflaster und bevorzugt ältere Dinge des täglichen Gebrauchs, folgte zwar dem Konzept der Arte Povera, der armen Kunst, errang aber bei ihm, im Sinne des Steinbocks am Aszendenten, den Ausdruck einer Konfrontation mit dem, was übrigbleibt, bar jeder Beschönigung. Gleichwohl initiierte er damit einen neuen akademischen Stil, ein Jahrzehnt von Epigonen, deren Installationen sich in rostigen Nägeln, altem Holz, Teer, Kaffeeflecken oder Möbeltrümmern ergingen.

Die Fettecke, die er mehrmals installierte, die mit Schmalz ausgefüllte Ecke eines Raumes, wurde zum Symbol seines Werks. 

 

- Bekannt ist die Geschichte von der zweckentfremdeten Badewanne in Leverkusen. Beuys hatte eine alte Kinderbadewanne mit Mullbinden, Kupferdraht, Fett und Heftpflaster versehen. Sie war Teil einer Wanderausstellung, an der auch das Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen beteiligt war. Das Werk befand sich derweil noch im Lagerraum, als dort der SPD-Ortsverein ein abendliches Fest feierte. Zwei Frauen wollten die Biergläser spülen und suchten ein größeres Gefäß, man fand den Schlüssel zum Lagerraum und stieß auf die Kinderbadewanne. Sie erschien geeignet. Die beiden Frauen entfernten das Heftpflaster, das Kupfer und die Mullbinden und schrubbten sie "sauber". Ein Skandal. Es kam zum Schadensersatzprozess, an dessen Ende 58.000 DM an den Besitzer der Leihgabe gezahlt werden mussten.

 

- Beuys hatte sich mit den Schriften Rudolf Steiners beschäftigt und teilte vermutlich dessen spöttische Haltung zu Kant. Die Umstülpung als ein elementarer Prozess der Entwicklung des Lebens war auch so eine Erkenntnis, die er aus der Anthroposophie bezog. Sie lag ihm. Einmal hatte er sich mit einem Küchenmesser geschnitten. Statt seiner Hand hat er das Messer verbunden.

 

- Das wirft ein Licht auf seine Amerikareise. Die Ausstellung im Guggenheim-Museum. Nach der Landung ließ er sich, in eine Filzmatte eingewickelt, aus dem Flugzeug tragen und auf der Bahre im Fond eines Krankenwagens zum Museum bringen. Dort trug man ihn, immer noch in der Filzrolle, in die Ausstellungshalle. Nur ein Coyote befand sich noch in dem Raum. In gebührendem Abstand, hinter einer Abzäunung aus Maschendraht, konnte sich das Publikum einfinden. Beuys verbrachte drei Tage mit dem Tier. Der Coyote war ihm freundlich gesonnen.

Am Ende ließ er sich wieder in die Filzdecke einwickeln und zum Flugzeug transportieren.

Sein Resümee zur dreitägigen Kommunikation mit dem Coyoten war: Ich mag Amerika, Amerika mag mich.

 

-  Kant ist ebenso wie Beuys im Zeichen Stier geboren. Jedoch befindet sich bei Beuys, mit dem Aufgang im Steinbock, die Sonne im vierten Haus, damit im zweiten, dem seelischen Quadranten,  in dem es um die Quelle des eigenen Lebens, um die eigene seelische Bewegung geht, die, mit der Sonne darin, ins Erschaffen drängt. 

Im Falle einer Sonne im Zeichen Stier befindet sich diese im Frühlingsverbund von Widder, Stier, Zwillinge, im Bereich der Titanen, wo die Bewegung noch von außen bestimmt ist. Ragt der Frühlingsverbund in den zweiten Quadranten der Tagesrunde, so geht es darum, die Freiheit des eigenen Anfangs zu finden, um zu einer Bewegung im Sinne einer Emanzipation von der Außenbestimmtheit des Sozialen und des Maschinenhaften der Vorgänge zu kommen. Bei Beuys ist dies, mit dem Mars als Verbundsherrscher in Haus fünf, der Phase des Erschaffenden, in kompromissloser Weise gegeben.

Es war das Thema von Josef Beuys, dass jeder Mensch ein Künstler sei. 

Nicht sollte der Begriff inflationiert werden, vielmehr war Kunst für ihn an den Begriff der Freiheit gebunden. Immer wieder formulierte er diese Sicht.

So etwa bei einem Vortrag vor Soldaten der Bundeswehr in Bonn, ein Tabu-Bruch, in dem er einen dem konventionellen Kunstverständnis eher fernen Bereich ansprach. Er legte diese Freiheit dar und wie aus ihr heraus jeder Mensch ein Künstler sei: Wenn man etwas tut und vergegenwärtigt sich, warum man es tut, so Beuys, findet man allerlei Notwendigkeiten. Sieht man von diesen ab, zunächst von den äußeren Notwendigkeiten, und schließlich auch von den inneren Notwendigkeiten eines Tuns, so kommt man zu einem Punkt, an dem keinerlei Notwendigkeit besteht, etwas zu tun. An dem man jedes Tun auch lassen kann. Wenn man sich nun entscheidet, es doch zu tun, so ist es aus Liebe zur Sache. Dann ist es aus der Freiheit heraus. Und dann ist es Kunst.

 

- Beuys beschreibt damit die Phase des vierten Hauses, als ein In-sich-Finden  Wolfgang Döbereiner  und damit, bei einer Sonne im Zeichen Stier, als Entwicklung der eigenen Bewegung in der Befreiung von der Kausalität der Vorgänge und der Außenbestimmtheit des Sozialen. 

 

- Der Kategorische Imperativ besagt, man solle stets so handeln, dass das eigene Handeln als Maßstab der Gemeinschaft gelten kann. Damit ist der einzelne Mensch auf eine Funktion der Gemeinschaft reduziert, die letztlich die eigene, unmittelbare Bewegung des Individuums negiert. Eine Gesellschaft von Robotern, wie ein Kritiker Kants, Nicolai Hartmann, die Konsequenz des Kategorischen Imperativs formulierte. Tatsächlich verfällt damit letztlich die Gemeinschaft in Starre, denn sie basiert auf der Bewegung des Einzelnen, auf der Beziehung der Individuen zueinander und auf dem, was sie erschaffen.

Wird sie zum Selbstzweck erklärt und der Einzelne nur als Vorgang der Gemeinschaft gewertet, muss sie in Bewegungslosigkeit erstarren. Roboter haben "aus sich" keinen Anlass zur Bewegung.

 

- Das ist der Lockdown als folgerichtige Konsequenz der Industriegesellschaft und des Wissenschaftsstaats. Wird der Mensch als biologische Mechanik begriffen und der Staat als Maschine, wie bei Hobbes und später indirekt auch bei Kant, so muss das System zwangsläufig in Starre fallen, wenn es das Leben der Individuen in einer Weise unterworfen hat, dass die Bewegungslosigkeit zum Ereignis werden muss.

 

- Beuys war dreiunddreißig, als seine Verlobte, eine Postangestellte, ihm den Verlobungsring in einem Brief zurückschickte. Bereits zuvor hatte er sich wegen "mangelnder Kommunikationsbereitschaft des Freundeskreises" zurückgezogen. Er verfiel in Depression. Bei verdunkelten Fenstern hockte er in einer Holzkiste. Es gab keinen Grund mehr, irgendetwas zu tun, keinen Anlass sich zu bewegen. Er war an dem Punkt, von dem er später in Bonn vor den Soldaten der Bundeswehr sprach. Aber ohne darüber hinaus zu kommen. Seine Freunde machten sich Sorgen, weil sie nichts mehr von ihm hörten. Schließlich drangen sie in seine Wohnung ein und fanden ihn in einem schlechten Zustand vor. Hockend in der Kiste, die Beine bereits angeschwollen. Sie brachten ihn zum Bauernhof der Familie van der Grinten, wo er nach und nach, ohne Drängen, an den täglich anfallenden Tätigkeiten und an der Feldarbeit  teilnahm und auf diese Weise schließlich aus der Depression herausfand. 

 

-  Es war der Konflikt zwischen dem Zeichen Stier und der seelischen Eigenbewegung, die mit der Sonne im vierten Haus ansteht und die mit dem Mars in Haus fünf in aller Schärfe gefordert ist. Die Starre der Bewegungslosigkeit, da der Anstoß von außen wegfällt. Und der Weg heraus. Gleich dem Weg aus der Ägyptischen Gefangenschaft, die von Wolfgang Döbereiner mit der Saturn-Pluto-Verbindung assoziiert wird. Im Horoskop von Josef Beuys findet dieses Ereignis folgerichtig mit vierunddreißig Jahren, unter der Auslösung der Saturn-Pluto-Verbindung, statt. Im Siebener-Rhythmus ausgelöst durch den Überlauf über Saturn im achten Haus, akut mit der Fälligkeit des Pluto, im Spiegel, im vierunddreißigsten Lebensjahr. 

 

Josef Beuys, 12.05.1921, 23:30 Uhr, Krefeld,

 

- Mit dem Pluto im siebten Haus hat er die Besetzung des Bewusstseins der Gegenwart zu artikulieren, andernfalls ist die Gefahr gegeben, selber zum Bild der Besetzung, zur Projektionsfläche des Kollektivs, also zum Star zu werden. Beuys wusste darum. Sein Auto war ein altes Londoner Taxi. Als es nach Jahren den Dienst versagte, stand eine Neuanschaffung an. Er könne sich doch jetzt nicht irgendein Auto kaufen, äußerte er. Schließlich gelangte er an einen älteren Rolls-Royce, der entsprechend für Kontroversen sorgte.

Der Hase, das Tier seines Gegenzeichens Krebs, wurde zum durchgehenden Thema. In einem Interview mit einer Reporterin des Stern, die ihn mit penetranter Skepsis vorführen wollte, antwortete er schließlich, er sei ja eigentlich ein Hase. Ob er schon mal einen Artgenossen verspeist hätte, wollte sie wissen. Früher ja, heute nicht mehr, antwortete Beuys. Ein bekanntes Zitat von ihm: Ich denke sowieso mit dem Knie.

 

- Bei der Verbindung von Saturn und Pluto, unter deren Auslösung er sich in seine Wohnung zurückzog und in Bewegungslosigkeit verfiel, ist der Jupiter, der Planet des Zeichens Schütze, gefragt, der hier die Lücke in der Reihe Steinbock, Schütze, Skorpion bildet. Den Übergang von Steinbock zu Schütze bildet das Knie in die Zeit, das die Bewegung ermöglicht, in der unteren Bewegung das Zeichen Krebs, die Initiierung der seelischen Eigenständigkeit. Ist diese nicht zugelassen, kommt es zur Starre. 

 

- Sie ist nicht zugelassen, weil die Phase des Steinbocks, als die Bestimmung der Gestalt der Gegenwart und damit als die Bestimmung des Einzelnen, durch das Kollektiv okkupiert ist, das den Einzelnen als Funktion der Gemeinschaft auffasst. Daher besteht bei Saturn-Pluto die Neigung zur Hüftgelenksarthrose. Münchner Rhythmenlehre

 

 

 Offizielle Bekanntgabe und Namensgebung der Covid-19-Pandemie durch die chinesische Gesundheitsbehörde,

Peking, 7. Januar 2020, Mittagshoroskop, Pluto und Saturn befinden sich in Konjunktion im Steinbock.

 

 

Und das ist eine unmittelbare Folge des Kategorischen Imperativs von Kant. Der Saturn wird zur Regelung und in Verbindung mit dem Pluto zur Starre. Der Lockdown ist die Hüftgelenksarthrose des Staats.

 

- Bei Beuys war es, mit Jupiter-Uranus, die Unerwartete Hilfe  in Gestalt der Freunde, die ihm aus der Erstarrung halfen.

 

- Und der Lockdown des Wissenschaftsstaates?

 

- Der Staat ist keine Person.  Wenn der Pluto das Zeichen Steinbock verlässt, wird sich zeigen, was übrigbleibt.

 

 

 

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 hingewiesen sei auf die anschauliche  Comic-Biographe von Willi Blöß

 

(C) Herbert Antonius Weiler, August 2021