Brief Hannah Arendts an Karl Jaspers (Auszug)
New York, den 4. Juli 1966
...Bevor ich es vergesse: Ich schulde Dir noch eine Antwort auf Deine Anfrage bezüglich Adorno. Sein misslungener Gleichschaltungsversuch im Jahre 1933 wurde von der Frankfurter Studentenzeitung „Diskus“(1) aufgedeckt. Er antwortete in einem unbeschreiblich kläglichen Brief, der aber auf die Deutschen großen Eindruck gemacht hat. Die eigentliche Infamie bestand darin, dass er, halbjüdisch unter lauter Juden, diesen Schritt natürlich ohne Informierung seiner Freunde getan hat. Er hatte gehofft, mit der mütterlich-italienischen Seite (Adorno versus Wiesengrund) durchzukommen.
Hannah Arendt / Karl Jaspers - Briefwechsel 1926 – 1969, Piper, Brief 399
Hannah Arendt und Theodor Adorno
In einem Brief an Karl Jaspers von 1966 erwähnt Hannah Arendt den Rechtfertigungsversuch Adornos zu einem Text, den dieser nach der Machtübernahme Hitlers, 33 Jahre zuvor publiziert hatte.
Ein Student hatte auf die Rezension aus dem Jahre 1933 hingewiesen, in der Adorno die Vertonung eines Gedichtes von Reichsjugendführer Baldur von Schirach besprochen hatte. Der Zyklus für Männerchor wurde von Adorno im „Amtlichen Mitteilungsblatt der Reichsjugendführung“ mit besonders lobenden Worten bedacht.
Dies „weil er durch die Wahl der Gedichte als besonders nationalsozialistisch markiert ist ...“ Auch werde darin „dem Bild einer neuen Romantik nachgefragt; vielleicht von der Art, die Goebbels als ‚romantischen Realismus’ bestimmt hat“.
Baldur von Schirach hatte den Gedichtband Adolph Hitler gewidmet. „Die Fahne der Verfolgten“ lautete der Titel. Neben Sätzen von teils absurdem Pathos, wie „Dem Führer - Wie weit verweht, verginge ich im Wind, wärst Du nicht Kraft, die von der Wurzel rinnt“., finden sich auch Aufrufe zum Hass und zum Massenmord:
„Noch heisst's den Hass im Blute bergen, noch heisst's Geduld!“ … „Und Drum her zu uns … Wir wollen die Feinde deutscher Freiheit morden“.
In einer Studentenzeitung hatte nun, 33 Jahre später, der Student Claus Schroeter in einem Offenen Brief an Adorno gefragt, wie sein Satz, nach Auschwitz könne kein Gedicht mehr geschrieben werden, mit der Tatsache zu vereinbaren sei, dass er „vor Auschwitz derart ungeheuerliche Gesänge gutgeheißen“ habe.
Adorno habe alle, die sich mit dem NS-Regime in irgendeiner Weise arrangierten, verurteilt, so etwa Heidegger, und zugleich verschwiegen, als Rezensent einst die Vertonung dieses Gedichtbands gefeiert zu haben, in dem unter anderem zum Pogrom aufgerufen wird.
Adornos Rechtfertigung erschien in der gleichen Ausgabe der Zeitung. Nachdem er tiefstes Bedauern äußerte, dass er “diese Kritik damals schrieb“, folgten Relativierungen, in denen er die Sätze als „dumm-taktischen“ Versuch darstellte, „die neue Musik zu verteidigen“ und ihr im Dritten Reich, von dem er geglaubt habe, dass es „nicht lange dauern könne“, zum „Überwintern“ zu verhelfen. Als „Captationes benevolentia“ seien die Sätze zu verstehen, um die NS-Vertreter seinem eigentlichen Anliegen gewogen zu machen.
Dann führt er sein Gesamtwerk an und fragt „ob die inkriminierten Sätze gegen mein Oevre und mein Leben ins Gewicht fallen“ und ob die damalige Dummheit „mich dazu verurteilen sollte, für den Rest meines Lebens zu schweigen?“
Es folgt schließlich ein Seitenhieb auf Heidegger „Wer die Kontinuität meiner Arbeit überblickt, dürfte mich nicht mit Heidegger vergleichen, dessen Philosophie bis in die innersten Zeilen faschistisch ist.“
Es war die Rhetorik der Ausrede, der Unaufrichtigkeit und Anbiederung, nicht ohne zuletzt einen vermeintlich Schuldigeren in den Vordergrund zu rücken, die Hannah Arendt veranlasste, Adornos Antwort einen „unbeschreiblich kläglichen Brief“ zu nennen.
Brief und Zitate aus: Hannah Arendt und Karl Jaspers / Briefwechsel 1926-1969. Piper Verlag, 2001
Theodor W. Adorno, der am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren wurde, avancierte nach dem Krieg zu einem führenden Vertreter der nunmehr aufkommenden Sozialwissenschaften. Er galt als Orientierungsfigur und ideologischer Wegbereiter der Studenten-Revolution von 1968. Allerdings wurde er später angegriffen, da er nicht bereit war, sich bei der '68er Revolte einzureihen, um die sozialen Umstrukturierungen, zu denen er das ideologische Gerüst geliefert hatte, konkret werden zu lassen.
Der Brief Hannah Arendts an Karl Jaspers war Teil einer Korrespondenz über die Haltung ihres gemeinsamen Freundes Martin Heidegger während der Nazi-Zeit und danach. Dabei kam auch Theodor Adornos Verhältnis zum NS-Regime und sein damaliger Text im „Amtlichen Mitteilungsblatt der Reichsjugendführung“ zur Sprache.
Sein Gleichschaltungversuch (Arendt) als Musikkritiker im Jahre 1933 konnte nicht verhindern, dass er vier Jahre später emigrieren musste, erst 1953 kehrte er nach Deutschland zurück. Im amerikanischen Exil hatte er neben anderen Schriften die Aphorismensammlung Minima Moralia verfasst.
Etliche der darin enthaltenen Sätze wurden zu Schlagwörtern der kommenden Jahrzehnte. Etwa der Ausspruch Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Aus einer Festschrift von 1951 stammt der ebenfalls bekannte Satz Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, auf den sich der Autor des Offenen Briefs angesichts der Sentenzen von 1933 bezieht.
Zum öffentlichen Thema wurde Adornos Ablehnung Martin Heideggers, dessen sprachphilosophische Begriffsbildung er als Jargon der Eigentlichkeit bezeichnete. Eine Schmähung, die er auch Martin Buber angedeihen ließ. Die Aversion gegen Buber ist bekannt, Religionstiroler nannte er ihn mündlich.
Wer relativiert, will Macht ausüben. (Wolfgang Döbereiner)
Adorno verneinte den Gedanken einer Verbindlichkeit der Worte, die sich in der Beziehung zum Angesprochenen erweise und aus dieser geschöpft werde. Seine Negative Dialektik sieht er dem entgegengesetzt. Er beschreibt sie so: Es handelt sich um den Entwurf einer Philosophie, die nicht den Begriff der Identität von Sein und Denken voraussetzt, sondern die gerade das Gegenteil, also das Auseinanderweisen von Begriff und Sache, von Subjekt und Objekt und ihre Unversöhntheit artikulieren will.
Der angestrebte Relativismus wird bereits in der Eingangsformulierung des Satzes offenkundig, indem nicht etwa von einer Philosophie die Rede ist, sondern im Unverbindlichen verbleibend, umschreibend vom Entwurf einer Philosophie.
Es ist das bedeutungsvoll lavierende Sowohl-Als-Auch, das Adorno zelebriert, indem zunächst die Voraussetzung einer Identität von Sein und Denken abgelehnt wird - die in dem von ihm dargestellten Sinne einer Identität von Sache und Begriff nirgends behauptet wurde und auch gar nicht bestehen kann - um dann die Selbstverständlichkeit der Polarität von Begriff und Sache, Subjekt und Objekt herauszustellen und daraus seine Negative Dialektik abzuleiten.
Die fremdwortbeladene, rhizomartige Rhetorik Adornos stellt eine direkte Umsetzung einer Sprachauffassung dar, die das verbindliche Wort zu vermeiden sucht, es letztlich leugnet.
Er gilt als schwer zu lesender und nicht leicht verständlicher Autor. Der sinnigerweise im Zeichen Löwe geborene Karl Popper wirft ihm intellektuelle Hoch-stapelei vor - gewürzt mit paradoxem Unsinn. Er nimmt Adornos Sätze zur Hand, um sie als umständlich formulierte, aber triviale und redundante Aussagen zu entblößen -
Adorno: Die gesellschaftliche Totalität führt kein Eigenleben oberhalb des von ihr Zusammengefassten, aus dem sie selbst besteht. -
dazu Poppers "Übersetzung": Die Gesellschaft besteht aus den gesellschaftlichen Beziehungen.
In der Tradition Kants verneint Adorno die Gewissheit der Gegenwart, die Entität eines absolut Ersten als des zweifelsfrei gewissen Ausgangspunktes der Philosophie. Er beharrt auf der Vermitteltheit eines jeglichen Unmittelbaren und behauptet, dass die Beschaffenheiten der Erkenntnisobjekte immer nur durch das reflektierende Subjekt hindurch zu haben sind.
Dies ist, über die lavierende Form der Artikulation hinaus, das gegenwartslose Verharren in der Selbstbespiegelung der Wahrnehmung.
Die Annahme der Gestalt des Entgegenkommenden und damit die Bestimmung der Wahrnehmung wird ausgeschlossen. Stattdessen werden die Wahrnehmung selber und damit die wahrgenommenen Bedingungen als das Bestimmende des Lebens erachtet. Ein Spiegelkabinett.
Daraus folgt die Vorstellung einer grundlegenden Regelbarkeit des Schicksals über die Regelung der wahrgenommenen Bedingungen.
Es kommt zur Verneinung des Lebens des Einzelnen und seiner Bestimmung im sozialen Regelungszwang.
Das Schicksal als politische Machbarkeit.
Für diese steht Adorno, mit Jungfrau-Sonne im ersten Haus, schließlich als Person.
Und so macht sich an seiner Person der Konflikt fest, als er diese Präsenz nicht einsetzt mit seiner Weigerung, sich bei der '68er-Revolte einzureihen-
Von Bedeutung ist, dass der Merkur in Haus Zwei nicht nur Herrscher der Sonne ist, sondern durch das Parallelzeichen Zwillinge am MC auch den Pluto im zehnten Haus mitbringt, der damit, in Quadrat zur Sonne in Haus Eins, das Diktat der Verrichtung des Sozialen anzeigt - der Staat als Bestimmendes, bei dem das Ur-Teil des Einzelnen, seine Bestimmung, nicht mehr zugelassen ist. Adornos Anbiederung beim NS-Regime offenbart, wie seine Weigerung sich bei der Studentenrevolte einzureihen, die er mit initiiert hatte, letztlich eine Opportunität gegenüber Staat und Behörden.
Dem entspricht der 1933 veröffentlichte Text Adornos wo vom Bild einer neuen Romantik, vielleicht von der Art, die Goebbels als ‚romantischen Realismus’ bestimmt hat, die Rede ist.
Das Unterwerfungsangebot der Aussage, Goebbels habe eine Begriffsbildung bestimmt, fällt im Juni 1933 mit 30,8 Jahren unter die Auslösung der Venus - mit Verbindung zu Neptun und Pluto - durch das Zeichen Stier, das im Siebener-Rhythmus die Phase von 28 bis 35 beherrscht. Neptun und Pluto im zehnten Haus geben die Verdrängung einer gewachsenen Bestimmung an.
Von solcher Haltung, nämlich Bestimmung als machbar aufzufassen, geht folgerichtig die spätere Ablehnung jeder Form von inhaltlich stimmiger und erfassbarer Begriffs-bildung aus.
Über den Mond an der Häuserspitze löst sich mit 30,8 Jahren zudem der Saturn in Haus fünf aus, der die Forderung der Vereinzelung anzeigt und, in diesem Fall, die kompensatorische Suche nach Geborgenheit.
Der Offene Brief und Adornos Rechtfertigung wurden in der Studentenzeitung Diskus in der Ausgabe des Winter-semesters 1962/63 veröffentlicht.
Es zeigt sich, dass dies mit 59,5 Jahren in die Mitte der vom Steinbock beherrschten Siebenerphase von 56 bis 63 wiederum unter die Auslösung des Saturn im fünften Haus fällt, was darauf hinweist, dass es hier um die verdrängte Bestimmung des Einzelnen in seiner Unmittelbarkeit und Unabhängigkeit geht.
Der Verbundsherrscher Krebs, von Zehn nach Elf gehend, mit dem Mond im Stier im neunten Haus gibt die "revolutionäre" Fügung der sozialen Vereinheitlichung an, durchgeführt in der Präsenz seiner Person mit dem Ergebnis des Regelungszwangs.
Der Zorn Hannah Arendts richtete sich auch auf die verklausulierte Erklärung Adornos, seine Wohlwollen heischende Anbiederung von 1933, die er Captationes benevolentia nennt, habe nur den Zweck gehabt, hinüberzuretten was möglich war, weil er davon ausgegangen sei, das Dritte Reich werde nicht lange andauern. Tatsächlich bildete diese Art von kalkulierter Unterwürfigkeit eine der Faktoren, die dem Dritten Reich zur Macht und zu seiner zwölfjährigen Dauer verhalfen.
Insofern zeigte sich in der Erklärung Adornos über dreißig Jahre später eine Kontinuität.
Spätere Interpretationen, die Anpassung an die NS-Phraseologie sei als „satirisches Verfahren“ zu verstehen, mit dem er in einer tieferen Schicht seines Textes eine „gegenteilige Botschaft transportiert habe“, FAZ, Tarnung, H.Scheible, 2009 erscheinen eher bemüht und versagen angesichts der „ungeheuerlichen Gesänge“ der Gedichte des Baldur von Schirach wie in Anbetracht der Tatsache, sich nach 1933 überhaupt in einem „Amtlichen Mitteilungsblatt der Reichsjugendführung“ niederzu-lassen.
„Mit der Lüge die Wahrheit sagen“ lautete eine ähnliche, entsprechende Parole der späteren Postmoderne.
Sie gilt nur für den, der trotzdem dazu gehören will.
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- Adornos Erkenntnistheorie, nach der „die Beschaffenheiten der Erkenntnisobjekte immer nur durch das reflektierende Subjekt hindurch zu haben sind“, ist die Wiederholung von Kants Postulat des „Ding-an-sich“, das der Erkenntnis nicht zugänglich sei, weil es stets nur durch die Wahrnehmung des Subjekts erfahren werden könne.
- So als sei das Objekt nicht etwa das Objekt des Subjekts, als gebe es darüber hinaus noch ein transzendentes Objekt, ein Objekt ohne Subjekt. Ein Erkenntnisobjekt-an-sich.
Es kann kein Ding-an-sich geben, genau so wenig wie es ein Subjekt-an-sich geben kann. Beides hebt sich begrifflich auf. Ein Scheinproblem.
- Die Wirklichkeit der Dinge kann sich nur in der Begegnung erweisen. Das ist die Gestaltwerdung. Mit der Vorstellung, die Wirklichkeit der Wahrnehmung ginge vom Subjekt aus - und nicht etwa von Subjekt und Objekt gleichermaßen - wird die Gegenwart der Begegnung verweigert. Die tautologische Relativierung der Begegnung, in Form der Aussage, dass diese nur „durch das reflektierende Subjekt hindurch zu haben“ sei - so als gäbe es eine Begegnung ohne Subjekt - entwirklicht die Begegnung. Sie führt in die Spiegelung. Die Reflexion des reflektierenden Subjekts bleibt in der Konsequenz stets den selben Kriterien ausgesetzt: auch ihre Beschaffenheit wäre immer nur durch das „reflektierende Subjekt“ zu haben und so fort.
- Es ist letztendlich das Relativierende, die Leugnung der Wirklichkeit der Begegnung und der Sprache, von der die im Zeichen Waage geborene Hannah Arendt abgestoßen ist und die sie zu kennzeichnen sucht.
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(C) Herbert Antonius Weiler, 2018
© H e r b e r t A n t o n i u s W e i l e r