Galileis Fernrohr
Das Rot der Rose - ein Dialog
(Textauszug)
-Eine Errungenschaft der Naturwissenschaft sei, so wird gesagt, ein tieferer Einblick in die Wirklichkeit der Dinge. Die Genetik etwa. Sie könne bestimmen, warum die eine Rose gelb und die andere rot wird.
- Ist es das so? Haben wir eine tiefere Wirklichkeit der Rose vor uns, wenn wir über ihre Gene informiert sind? Verstellt nicht die naturwissenschaftliche Herleitungen der Rose, aus welchen Kausalitäten auch immer, die Anschauung der Rose in ihrer Gegenwart, als das, was sie ist?
-Wieso sollten naturwissenschaftliche Herleitungen einen Blick verstellen? Auch ohne Naturwissenschaft scheint doch das Wissen um Herkunft und Bedingung der Rose bereichernd.
-Schauen Sie eine Rose an. Nichts von dem, was man zu Herkunft und Bedingung ihres Daseins anführen könnte, kann erklären, dass sie einfach da ist, dass sie i s t.
- Der Physiker Feynman betonte, die Schönheit der Rose sei ihm durch seine Vorstellung von ihrer atomaren Beschaffenheit nicht weniger zugänglich. Im Gegenteil, das Wissen, um die Entstehung der Röte der Blüte als spezifische Wellenlänge des Lichtes auf das Auge treffend, Anregungen der Atome der Moleküle, die die Blüte bilden, eröffne ihm eine größere Vielschichtigkeit der Wahrnehmung der Rose, wie wenn er nichts davon wüßte.
- Er meint, die Menge an Informationen ergibt die Intensität des Erlebnisses?
- Durchaus. Ist denn das Hüpfen der Elektronen und die damit verbundene Abgabe von Energie als Lichtteilchen kein Erlebnis?
- Abgabe von Energie als Lichtteilchen, hüpfende Elektronen? Alles Unsinn. Nichts davon ist erlebt. Die Rose können Sie anschauen, die Elektronen nicht.
- Freilich kann ich die Elektronen anschauen, mit dem Mikroskop ist es möglich.
-Im Mikroskop haben Sie aber die Anschauung der Rose als Rose nicht mehr. Zudem ist die Anschauung durch das Instrument des Mikroskops nicht vergleichbar, da Sie im Mikroskop nicht sehen, so wie wir mit unserem Auge sehen.
-Zweifelsohne - mit dem Mikroskop sehen wir genauer, weil wir Dinge und Vorgänge betrachten können, die so klein sind, dass wir sie mit bloßem Auge eben nicht sehen können. Das ist doch eine sinnliche Erschliessung von Weiten, zu denen wir vordem keinen Zugang hatten.
- Ist es das? Ist es nicht vielmehr so, dass Mikroskop und Fernrohr eine Sinnlichkeit vortäuschen, die defacto nicht besteht? Die aber gerade weil sie sinnlich scheint, eine falsche Authentizität vorgibt, eine Echtheit welche wir eigentlich nur den Sinnen zubilligten - bislang. Wir sehen keine Moleküle. Nun nehmen wir ein Instrument, das Mikroskop, schauen hindurch und sehen etwas, dem wir ohne die Voraussetzung dieser Erfahrung zu bedenken, die gleiche Dinghaftigkeit zuordnen, wie den Dingen unseres gewohnten sinnlichen Lebens.
-Sie meinen das Mikroskop zeigt nicht die wirkliche Welt, wohl aber das Auge?
-Zunächst ist wohl mit dem Mikroskop als auch mit dem Fernrohr der Anspruch verbunden, es zeige eine wirklichere Welt, als sie der Mensch vor Augen hat. Die Welt wird hierbei als Sachverhalt aufgefasst, den es zu untersuchen gilt, um eine verborgene Wahrheit ans Licht zu bringen, die den Sinnen verstellt ist.
-Galilei forderte die Vertreter der Kirche auf, sie mögen doch nur durch sein Fernrohr schauen, um sich vom heliozentrischen Sachverhalt, dass sich die Erde um die Sonne drehe, zu überzeugen. Was sollte daran irrig sein?
-Das Sakrileg Galileis lag gar nicht in der Behauptung, die Erde kreise um die Sonne.
Zum einen bestand es in dem Anspruch, sein heliozentrisches Modell sei die alleinige Wahrheit. Die Kirche hatte dagegen betont, dass es sich um ein mathematisches Modell unter anderen Sichtweisen handle
Die heliozentrische Anschauung war im Vatikan schon einige Zeit vor dem Galilei-Prozess bekannt. Sie wurde dort bereits von den Jesuiten gelehrt. Entwickelt hatte sie Christoph Clavius, 1537 geboren, der im Vatikan als Jesuitenpater und Mathematiker wirkte. Seine Bejahung des kopernikanischen Systems war ausgegangen von der Beobachtung der Venusphasen, die er wohl überhaupt erst in die Debatte eingeführt hat.
Nun heißt es heute, Clavius habe die Venusphasen unabhängig von Galilei entdeckt. Ein Beschönigung.
Galilei, 1564 geboren, hatte bei dem 27 Jahre älteren Clavius nicht nur Vorlesungen gehört sondern stand auch mit ihm in Korrespondenz. Galilei dürfte die Venusphasen-Theorie also von Clavius übernommen haben.
Allein verhielt sich die Kirche, nach der Wissenschaftstheorie damals wissenschaftlicher als Galilei, indem sie Heliozentrik und Geozentrik als Anschaungsmodelle gewertet wissen wollte.
Aber das war nicht das Entscheidende.
-Was war dann aber der Grund des Prozesses?
- Das Sakrileg Galileis bestand darin, durch das Instrument des Fernrohrs eine Evidenz geltend zu machen, die dem Auge nicht erscheint, die aber den Anspruch sinnlicher Evidenzerfahrung erhebt.
Nichts anderes ist seine Aufforderung, man möge doch durch das Fernrohr schauen, um sich von der Wahrheit eines Sachverhaltes zu überzeugen.
Damit war der Mensch der Begegnung mit der Welt enthoben, die Dinge können sich nicht mehr in der gewachsenen sinnlichen Begegnung erweisen, Gestalt werden, sondern wurden als isolierter Sachbestand abgehandelt, als Ding-an-sich, deren Wahrheit gleichsam jenseits der Wahrnehmung liegt und die daher nur mittels Instrumenten annäherungsweise zugänglich ist.
Das führte dazu, dass die Naturwissenschaft eine Wirklichkeit suggeriert, die sich nur über die Anzeige von Instrumenten vermittelt.
(...)
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