Die Ferse

 

Achilles und das Schnabeltier

 

 

Der unbesiegbare Achilles war nur an der Ferse verwundbar. Weder Pfeil noch Schwert konnten ihm sonst etwas anhaben.

Die Ferse taucht in etlichen Metaphern auf. Die Achillesferse, als ein Ausdruck für eine verwundbare Stelle, ist die Bekannteste.

Seine Mutter, die Meernymphe Thetis, hatte ihn als Säugling in den Styx getaucht, in den Fluss der die Oberwelt von der Unterwelt trennt, der das Reich der Lebenden vom Reich der Toten scheidet. Als Sohn des Königs Peleus, eines Sterblichen, und der unsterblichen Thetis, sollte ihn das Eintauchen unverwundbar machen. Sie hatte ihn dabei an der Ferse gehalten. So kam es, dass die Ferse nicht vom Wasser des Styx benetzt wurde und als einzige Stelle am Körper des Achilles nicht gefeit gegen Verletzungen war. 

Später hat Apollon im Konflikt mit Achilles einen vergifteten, von Paris abgeschossenen Pfeil, so gelenkt, dass er Achilles an der Ferse traf. Das war der Tod des bis dahin unbesiegbaren Helden.

 

Die Geschichte des Achilles ähnelt dem Geschick Siegfrieds in der Nibelungensage. >> Er hatte einen Drachen getötet und anschließend in seinem Blut gebadet. Es sollte ihn unverwundbar machen.

Aber ein Lindenblatt war herabgefallen und hatte eine Stelle zwischen seinen Schultern bedeckt. Sie war vom Blut des Drachen nicht benetzt worden.

Nur seine Frau Kriemhild wusste davon. Sie teilte es Hagen mit, der vorgab, Siegfried schützen zu wollen.

Hagen nutzte die Information um Siegfried zu erschlagen. Als dieser während der Jagd aus einer Quelle trank, trat Hagen unbemerkt von hinten an ihn heran und stieß ihm einen Speer in die verwundbare Stelle. 

Die Geschichte von Siegfried und dem Lindenblatt zwischen den Schultern ist zumindest im Deutschen ebenso bekannt, wie die des Achilles. Zur Metapher für eine verwundbare Stelle aber, wurde die Achillesferse.

Die Sehne, die von der Ferse in den Wadenmuskel übergeht und das Auftreten ermöglicht, wird die Achillessehne genannt.

 

 

Die Ferse spielt auch bei der Geburt Jakobs und Esaus eine markante Rolle. Die beiden Söhne des Stammvaters Isaak, Sohn des Abraham, waren Zwillinge. Esau, der rötlich und sehr behaart war,  wurde zuerst geboren. Jakob aber hielt sich bei der Geburt an der Ferse des Esau fest und folgte ihm auf diese Weise. Der Name des Jakob birgt eine etymologische Mehrdeutigkeit, die in der biblischen Geschichte von Jakob und Esau zweifach erwähnt wird. Zunächst setzt sich der Name zusammen aus dem vorangehenden hebräischen Buchstaben Jud, als Hinweis auf den Gottesnamen des Tetragramms, und dem Verb akub -  עֲקֹב, das im Zusammenhang mit dem angedeuteten Gottesnamen etwa bedeutet: Gott schützt.  Jedoch hat die Wurzel akub - עֲקֹב auch die Bedeutung von Ferse, als auch Verfolger.  Deswegen heißt es im Text, dass man ihm den Namen Jakob gab - Fersenhalter oder Fersenfolger - weil er bei der Geburt die Ferse seines Bruders hielt. Im Deutschen ist der Zusammenhang von "verfolgen" und "Ferse"  in der Redensart "jemandem auf den Fersen sein" oder  "Fersengeld geben" enthalten. 

 

Später erwarb Jakob von Esau das Erstgeburtsrecht. Er hatte ein rotes Linsengericht zubereitet, das den Appetit des Esau derart anregte, dass dieser ihm dafür das Erstgeburtsrecht überließ.  "Siehe, ich muss doch sterben, was soll mir da das Erstgeburtsrecht", sagte er. 

Esau war der Liebling seines Vaters, denn er war ein kräftiger Mann des "freien Feldes", der oft auf Jagd ging und Wildfleisch, das Isaak gerne aß, nach Hause brachte. Jakob, der "lieber bei den Zelten blieb", wie es heißt, stand seiner Mutter Rebecca näher. Als Isaak schon alt war und seine Augen sich verdunkelt hatten, kam die Zeit, da Esau, als der Erstgeborene, den Vatersegen erhalten sollte.

Rebecca aber riet Jakob, seinen Vater zu täuschen. Er sollte sich, derweil Esau auf der Jagd war, ein Ziegenfell um Hände und Nacken legen und so verkleidet um den Segen bitten. Isaak meinte daher, als er Hände und Nacken Jakobs betastete, er habe seinen erstgeborenen, stark behaarten Sohn Esau vor sich. So wurde der Segen dem Jakob zuteil.

Als Esau von der Jagd nach Hause kam und erfahren musste, wie er um den Vatersegen betrogen worden war, brach er in Weinen aus. "Hast Du denn nur einen Segen", fragt er seinen Vater und auch Isaak klagte ob der Täuschung. An dieser Stelle wird abermals der Name Jakobs zitiert und etymologisch gedeutet. "Er heißt mit Recht Jakob" spricht Esau, "denn er hat mich nun zweimal hintergangen. Mein Erstgeburtsrecht hat er mir genommen und siehe, nun nimmt er mir auch den Segen." und er fragt nochmal: "Hast du denn keinen Segen zurückbehalten?" Der Dialog zwischen Isaak und Esau ist mitleiderregend. Aber der Segen war erteilt und nicht mehr rückgängig zu machen. Die Wurzel  akub -  עֲקֹב - wird hier als "der Hintergeher" gedeutet. (So nach der Übersetzung von Leopold Zunz, in der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig wird der Name Jakobs als "Fersehalt" bei der Geburt gedeutet, dann als "Fersenschleicher")

 

Rebekka fürchtete nun die Rache Esaus und hielt Jakob, an, das Land zu verlassen. Später aber versöhnen sich Jakob und Esau wieder.

Zwei zusammenhängende Bedeutungen verbindet der Text der Genesis mit dem Namen Jakobs: Einmal den Hinweis auf die Ferse im Sinne Hinterhergehens, des Verfolgens und dann im Sinne der Hintergehung, der List.

  

Bereits zuvor, in den ersten Abschnitten der Genesis ist von der Ferse die Rede. Auch dort steht ihre Erwähnung im Zusammenhang mit der List. Adam und Eva  waren dem Rat der Schlange gefolgt, von der es heißt, dass sie "listiger war, als alle Tiere des Feldes". Weil die Schlange zu Eva gesprochen hatte, sie würden Gott gleich werden, wenn sie von der verbotenen Frucht äßen, hatten sie davon genommen. Darauf spricht Gott zur Schlange:

"Weil du das getan hast sollst du verflucht sein unter allem Vieh und allem Wild des Feldes. auf dem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachkommen: Sie werden dir den Kopf verwunden, und du wirst ihnen die Ferse verwunden"  (Gen,3:15)

 

Das Motiv der Frau, die der Schlange den Kopf zertritt, taucht später in den Mariendarstellungen auf.

 

 

Gen 3:14 in der Mariendarstellung des Tiepolo, 1767

 

Selten Beachtung findet der Hinweis, dass die Schlange vorher Beine gehabt haben muss, wenn Gott sie verfluchte, von nun an auf dem Bauche zu kriechen. Auf einigen mittelalterlichen Darstellungen sieht man sie daher mit Beinen.

Sie konnte zuvor auftreten. Aber nun ist ihre Bewegung eine schlängelnde, schleichende Bewegung. Eine, die das Auftreten meidet. Und die den Menschen zu verwunden sucht an der Stelle, mit der er auftritt, an der Ferse.

 

Offenbar hat es eine ambivalente Bewandtnis mit der Ferse. Sie ermöglicht den aufrechten Eigenstand. Dem Jakob verhilft sie zur Geburt, an der Ferse des Esau sich festhaltend kommt er zur Welt. Andererseits steht sie für die Hintergehung und ist anfällig für ein Gift, sowohl bei der Frau, deren Nachkommenschaft laut Genesis von der Schlange, die listiger ist, als alle Tiere des Feldes, 

in die Ferse gestochen wird, deren Kopf sie dann zertritt, als auch bei Achilles, der stirbt, nachdem er vom vergifteten Pfeil des Paris in der Ferse getroffen wurde.

 

Astrologisch werden die Füße traditionell dem Zeichen Fische zugeordnet. Hier in einer englischen Illustration aus dem 17. Jahrhundert

 

 

Das Horoskop ist hier gestreckt, mit dem Widder an Stirn und Gesicht, bzw. dem Kopf beginnend, über den Stier für den Hals, den Zwillingen für Schultern und Arme, dem Krebs mit Brust und Lunge, dem Löwen für das Herz, der Jungfrau für Bauch und Darm, der Waage für die Hüften, dem Skorpion für die Geschlechtsteile, dem schützen für die Oberschenkel, dem Steinbock - das Knie in die Zeit - für die Knie,  dem Wassermann für die Waden und für die Füße die Fische. Es gilt die Frage, welchem Zeichen die Ferse entspricht, wenn man den Fuß wiederum auf einen Tierkreis projiziert. 

 

 

Da im Tierkreis der Standort und Ausgangspunkt links zu orten ist, der Weg und die Richtung aber nach rechts gehen, deckt sich die Ferse mit dem Zeichen Widder während die Zehen hin zur Waage, zur Begegnung weisen. Die Sohle bildet den Horizont.

Eigentlich bildet die Ferse die Scheidung von Widder und Fische, von Oben und Unten. Daher war es die Ferse des Achilles, die vom Wasser des Flusses Styx, der Oberwelt und Unterwelt trennt, unbenetzt blieb, als seine Mutter ihn eintauchte um ihn unverwundbar zu machen. Die Ferse bildet den Absatz der Fußsohle, mit ihr treten wir auf, sie steht für die Entscheidung in die Welt zu treten. Denn mit dem Absatz setzen wir uns ab.

Das Zeichen Fische steht für das Geheimnis des noch verborgenen eigenen Anfangs, durch den Widder tritt es in Erscheinung

Wird diese Scheidung des Ungeteilten, die Teilung von Oben und Unten verweigert, so muss der nicht zugelassene Neptun des eigenen Anfangs zum Gift werden. Daher sind die homöopathischen Schlangengifte in der Münchner Rhythmenlehre, stets mit den Neptun-Konstellationen verbunden.

Die Ferse stellt den Widder des Fußes dar.

 

Gifte sind im Tierreich in der Regel den Insekten und Reptilien vorbehalten. Zwar gibt es Vögel, deren Schnabel und Gefieder giftig sein kann, Mäuse und auch Vertreter einer Affenart, die Gift mit den Zähnen übertragen können, meist jedoch wird dieses Gift von den Tieren nicht produziert, sondern durch die Einnahme giftiger Insekten oder Pflanzen angereichert. Eine Ausnahme bilden einige kleine Säugetiere aus der Gattung der Insektenfresser, die ihr Gift produzieren. 

Dann gibt es noch das Schnabeltier, das auch sein Gift selber hervorbringt. Es lebt an der Ostküste Australiens. Das Schnabeltier legt Eier, hat Schwimmhäute zwischen den Zehen, trägt einen Schnabel - und das Weibchen säugt seine Jungen. Und es ist das einzige Säugetier, das mit einem Giftstachel an der Ferse ausgerüstet ist. 

Als man erstmals ein Fell des Tieres in Europa präsentierte,  hielt man es für einen Scherz, für das Machwerk eines Präparators. Charles Darwin äußerte, man habe den Eindruck. "als müssten zwei verschiedene Schöpfer am Werk gewesen sein".

 

 

Schnabeltier in einem Schulbuch aus den 1960er Jahren.  Zeichnung: Ludwig Binder

 

Es scheint, als habe das Schnabeltier eine Teilung nicht vollzogen, als sei es steckengeblieben, halb Wasservogel, halb Säugetier. Als habe es eine Entscheidung nicht zugelassen. Daher wird der Mars zum Giftstachel an der Ferse.

 

Ähnlich verhält es sich mit den Pilzen. Sie stellen Organismen dar mit sowohl pflanzlichen als auch tierischen Eigenschaften, ein Zwischenreich, das weder dem Pflanzen- noch dem Tierreich zuzuordnen ist. Ihre Zellwände sind aus Chitin, einem Polymer das sonst nur von Gliederfüsslern als Bestandteil ihres Exoskeletts produziert wird, aber ihr Wachstum ähnelt rhizombildenden Pflanzen, auch haben sie keine autonome Bewegung wie die Tiere. Was sie sowohl von Tieren und Pflanzen unterscheidet, ist die Zeitlosigkeit, ein eigener Tagesrhythmus fehlt ihnen. Sie sind in einem Zwischenreich steckengeblieben, deswegen gibt es vielleicht so viele giftige Pilze. Die Redensart: "Weder Fleisch noch Fisch", spricht den unausgegorenen Zwischenzustand an. Im Falle der Pilze gilt der Spruch: "Weder Pflanze noch Fleisch".

 

Auch Achilles, der halb unsterblicher und halb menschlicher Herkunft war, fand sich zwischen zwei Reichen. Die angestrebte Unverwundbarkeit durch das Eintauchen in die Wasser des Styx hätte sein Menschsein verdrängt. Daher war er an der Ferse verletzlich.

 

Die Ferse steht für das Heraustreten aus dem Ungeteilten, für die erste Teilung, entsprechend der Zeichen Fische und Widder und der Planeten Mars und Neptun. Damit für die Scheidung in Oben und Unten - für das Ich des Menschen .

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 (C) Herbert Antonius Weiler, Mai 2024, hebräische Inhalte mit Leah Jappie