Die Geburt Jesu und das Jahr Eins
- Das Christuskind in der Krippe mit Maria und Josef im Stall zu Bethlehem bildet das vertraute Motiv der Weihnachtsgeschichte. Vor der Krippe finden sich die Hirten ein. Sie waren draußen auf dem Felde, als die Engel ihnen verkündeten, der Heiland sei geboren. In einiger Entfernung nähern sich die Heiligen Drei Könige, die dem Stern folgten und deren Fest erst am sechsten Januar, zwölf Tage nach der Heiligen Nacht, gefeiert wird. Der Stern, oft mit einem Schweif dargestellt, findet sich bei vielen Darstellungen über dem Stall stehend.
Weihnachtskrippe im Altenberger Dom mit dem Jesuskind, Joseph und Maria, den Hirten und den Hl. Drei Königen
- Das Motiv vereinheitlicht die Erzählungen der beiden Evangelisten Matthäus und Lukas. Von den vier Autoren der Evangelien berichten nur sie über die Geburt Jesu. Ihre Angaben unterscheiden sich erheblich. Zwar benennen sie ausdrücklich zeitgenössische Umstände und Ereignisse, allerdings weisen diese, im Vergleich zueinander und auch im Verhältnis zu außerbiblischen, historischen Chronologien, auf verschiedene Zeiten hin.
- Beide Autoren erzählen von der Jesu Geburt "in den Tagen des Königs Herodes". In der Antike meinte diese Formulierung aber nicht nur die Lebenszeit des Herodes, sondern die zeitliche Aura seines Wirkens. Die Wendung bedeutet: in der von Herodes geprägten Zeit, die über seine Lebenszeit hinausging, etwa in Form der von ihm begründeten Errichtung des neuen Tempels in Jerusalem. Dies zeigt sich auch, indem der Name in der weiteren Erzählung der Evangelien wiederholt auftaucht, sich dort aber auf seine Söhne bezieht.
So ist es bei Matthäus Herodes der Große, bei Lukas sein Sohn Herodes Archelaos, der nach seines Vaters Tod über Judäa regierte. Ein dritter Herodes wird später, im Zusammenhang mit der Ermordung Johannes des Täufers und noch später, in der Passionsgeschichte, erwähnt: Herodes Antipas, Tetrarch in Galiläa und ebenfalls Sohn Herodes des Großen..
- Herodes der Große wurde 73 v. Chr. geboren, er starb, dem zeitgenössischen Historiker Josephus Flavius zufolge, im Jahre 4 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung. Sein Sohn Herodes Archelaos regierte von seines Vaters Tod an als Ethnarch von Judäa, bis er im Jahre 6 n. Chr. entmachtet wurde.
Matthäus
- Von den Sterndeutern aus dem Osten berichtet nur Matthäus. Sie waren von weit hergereist, um dem neugeborenen König der Juden zu huldigen. In Judäa angekommen, fragten sie: "Wo ist der neugeborene König der Juden? Denn wir haben seinen Stern im Aufgang gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten." sterndeuter aus dem osten >>
- Herodes erschrak, als ihm dies zugetragen wurde. Er rief die Priester und Schriftgelehrten zu sich und befragte sie, wo, nach den biblischen Prophezeiungen, der Messias geboren werden sollte. Man antwortete ihm, Bethlehem sei die Stadt, von der es heißt: Du, Bethlehem in Judäa, bist keineswegs die Geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird ein Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel weiden soll". (Jes 40,11)
Der Name der Stadt Bethlehem bedeutet "Haus des Brotes".
- Da erst lud Herodes die Sterndeuter zu sich, um sie auszuhorchen und die genaue Zeit zu erfragen, da der Stern ihnen erschienen sei. Er sandte sie dann nach Bethlehem, das Kind zu finden. Danach sollten sie zu ihm zurückkehren, um ihm zu berichten.
Die Sterndeuter machten sich auf. Und der Stern, so heißt es, "ging vor ihnen her, bis er ankam und über dem Ort stillestand, wo das Kind war". Sie gingen in das Haus hinein und fanden Jesus und seine Mutter Maria.
Als Geschenk überreichten sie Gold, Weihrauch und Myrrhe. Während bei Matthäus keine Zahl genannt wird, schloss der Philosoph Origenes aus der Erwähnung der drei Gaben auf eine Dreizahl der Weisen aus dem Osten. Aus ihnen wurden in der späteren Erzählung die Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar, deren Namen allerdings nur in der Westkirche bekannt sind.
- Nachdem sie Jesus gesehen hatten, wurden sie im Traum angewiesen, nicht zu Herodes zurückzukehren, denn dieser trachte dem Kind nach dem Leben. So reisten sie auf einem anderen Weg zurück in ihre Heimat. Als Herodes dies bemerkte, wurde er sehr zornig und ordnete an, alle Knaben in Bethlehem zu töten, die jünger als zwei Jahre alt waren. Denn dies war die Zeitspanne, von der er zuvor beim Aushorchen der Sterndeuter erfahren hatte.
Josef und Maria aber waren mit dem Kind, ebenfalls einem Traumgesicht folgend, nach Ägypten geflohen, um dem Kindermord zu entgehen. Sie kehrten zurück, nachdem Herodes gestorben war.
- Wie lange sich die Familie in Ägypten aufhielt, wird nicht berichtet, doch konnten bis zum Tod des Herodes im Jahre 4 vor Chr. nur Wochen oder Monate vergangen sein, da der Besuch der Sterndeuter, ihre Audienz bei Herodes und die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten sich im selben Jahr, vor dem Tod des Herodes, also 4 Jahre vor Beginn der Zeitrechnung zugetragen haben.
- Nach den Angaben der Sterndeuter war die astronomische Erscheinung, anhand derer sie die Geburt des neuen Königs erkannt hatten, bereits zwei Jahre vergangen, als sie Herodes berichteten, da dieser, so Matthäus, anschließend alle Knaben im Alter unter zwei Jahren ermorden ließ. Jesus war demnach beim Besuch der Sterndeuter bereits bis zu zwei Jahre alt.
- Welcher Art war das astronomische Ereignis, das die Sterndeuter hatten aufgehen sehen?
Sie wussten bislang nur vom "neugeborenen König der Juden". Nach ihm fragen sie bei ihrer Ankunft in Judäa. Den Ort, wo sie ihn aufsuchen können, kennen sie indes noch nicht. Herodes, beunruhigt über die Nachricht von der Ankunft der Sterndeuter und ihrem Anliegen, ruft die Schriftkundigen heimlich zu sich und befragt sie, wo, den Prophezeiungen zufolge der Geburtsort des Messias sei.
Demnach gingen die Sterndeuter und in der Folge auch Herodes davon aus, dass der neugeborene König der Juden der angekündigte Messias sein muss.
Erst nach der Mitteilung des Geburtsortes durch die Schriftgelehrten machen die Sterndeuter sich auf den Weg nach Bethlehem. Und nun erst, heißt es, geht der Stern vor ihnen her, bis er über dem Ort stehenbleibt, wo sie einkehren und das Kind und seine Mutter finden.
- Origenes zufolge kamen die Sterndeuter aus Persien und nicht etwa aus Babylon. Die babylonische Astrologie befand sich bereits seit Jahrhunderten im Niedergang und das Zentrum der Sternkunde hatte sich nach Persien verlagert, wo sich im medischen Ekbatana eine astrologiekundiges Priesterkaste entwickelt hatte, die Magoi. Als Sterndeuter aus dem Osten - Magoi apo anatolon - Magier aus dem Aufgang - werden sie im griechischen Urtext bei Matthäus* erwähnt.
Jupiter-Saturn-Konjunktion im Zeichen Fische
- Auf ältere astrologische Schriften zurückgreifend brachte Johannes Keppler die Erscheinung, welche die Magoi zum Aufbruch veranlasst hatte, mit der dreifachen Konjunktion von Saturn und Jupiter in den Fischen, die im Jahre 7 bis 6 v. Chr. stattfand, in Zusammenhang. Seit der Frühzeit der Astrologie wurde die dreifache Konjunktion der beiden langsam laufenden Planeten Jupiter und Saturn als Beginn einer neuen Epoche und damit als Geburt eines neuen Königs gedeutet. Die Juden und ihre geografische Heimat wurden mit dem Zeichen Fische verbunden, so lag es nahe, die Konjunktion in den Fischen als die Geburt eines neuen Königs der Juden zu deuten.
- Die Bedeutung der Geburt des Menschensohnes wird anschaulich anhand der Reihenfolge der betreffenden astrologischen Phasen: Saturn als Herrscher des Zeichens Steinbock und Jupiter als Herrscher des Schützen, in Konjunktion stehend im Zeichen Fische. Damit ist die Abfolge der Zeichen Fische, Steinbock und Schütze genannt.
In dieser Reihung fehlt das Zeichen Wassermann, nach der Münchner Rhythmenlehre eine Lücke, die anzeigt, dass dieser Inhalt geboren werden soll.
In der Phase des Wassermanns entsteht die Identität, die immer die Identität des Einzelnen ist. Es ist der Engel oder Mensch, neben Löwe, Stier und Adler in der Viergestalt der Cherubim am Throne Gottes nach der Schau des Ezechiel.
Jupiter und Saturn im Jahre 6 vor Christus im Zeichen Fische, der Phase des Prinzips, bedeuten:. Es ist das Prinzip der Identität selbst, welches zur Welt gekommen ist. Das Prinzip, das sich dem Moses einst im brennenden Dornbusch mit den Worten geoffenbart hatte: "Ich bin der Ich bin". Der Menschensohn.
Das hebräische Wort für Mensch bzw. Person, enosch - אנש, enthält die Wurzel des Grundwortes der Identität, ani – אני - ich. Der Mensch als das Ich-Wesen.
Die Nennung des neugeborenen Königs der Juden scheint damit konkret auf das Jahr 6 vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung zu verweisen, zwei Jahre vor der Ankunft der Sterndeuter in Judäa.
- Jedoch lässt sich die weitere Beschreibung der Bewegung des Sterns, wie er vor den Sterndeutern hergeht und sie führt, um über dem Ort des Kindes stillzustehen, nicht allein mit der Beobachtung und Deutung der Großen Konjunktion vereinbaren. Eine astronomische Erscheinung dieser Art ist nicht überliefert und auch nicht denkbar. Die Schilderung ist vielschichtig und stellt vielleicht eine Metapher dar oder beschreibt eine hellsichtige Vision der Magoi. Auch die Aussage: "Wir haben seinen Stern aufgehen sehen" verweist auf eine andere Ebene der Deutung, entsprechend der antiken Ansicht, nach der mit jedem Menschen ein Stern am Himmel verbunden ist.
- Nach Rudolf Steiner handelte es sich bei der astrologiekundigen Priesterkaste der Magoi um Zoroastrier, Anhänger der Lehre des Zoroaster (Zarathustra), des Begründers der persischen Kultur. Der Stern, dem sie folgten, war der Glanz- oder Goldstern - denn dies sei die etymologische Bedeutung des Namens Zoroaster.
- Die Ankunft der Weisen und auch der Kindermord des Herodes kommen nur bei Matthäus vor, ebenso die Flucht von Joseph und Maria mit dem Kind nach Ägypten.
Lukas
- Von der Geburt im Stall zu Bethlehem berichtet hinwieder nur Lukas. Zur Geburt in Bethlehem kam es, weil sich Joseph mit seiner schwangeren Frau Maria zur Volkszählung in der Stadt der Herkunft seines Geschlechts aus dem Hause David einfinden sollte. Sie fanden keine Herberge und als Maria niederkam, gebar sie Jesus in einem Stall und legte ihn in eine Krippe.
Lukas nennt den Zeitpunkt dieser Volkszählung. Sie fand statt "als Quirinius Statthalter von Syrien war".
Auch Lukas spricht von der Geburt "in den Tagen des Herodes", meint aber demnach offenbar Herodes Archelaos, den Sohn Herodes des Großen, der nach dessen Tod im Jahre 4 vor Chr. König von Judäa wurde.
Herodes Archelaos galt als Tyrann und seine Regierung war offenbar chaotisch, denn er wurde aufgrund von Klagen aus dem Volk durch den römischen Kaiser Augustus entmachtet und in die Verbannung geschickt.
Die Verwaltung der Provinz Judäa wurde an Quirinius, den Statthalter von Syrien, übertragen. Die damit verbundene Verwaltungsneuordnung führte dazu, dass die Steuerpflichtigen und Grundstückseigner gezählt werden sollten. Deshalb musste Joseph, aus dem Geschlecht Davids stammend, mit seiner schwangeren Frau Maria nach Bethlehem reisen, um sich dort eintragen zu lassen.
Diese Zählung mit der Angabe "als Quirinius Statthalter von Syrien war" wird von Lukas ausdrücklich erwähnt und auch, dass es die erste derartige Erfassung war. Aus den zeitgenössischen Berichten geht hervor, dass die Anklage gegen Herodes Archelaos im Jahre 6 n. Chr. stattfand. Damit begann in diesem Jahr die Zuständigkeit des Quirinius als Verwalter von Judäa. Lukas verweist mithin auf eine Geburt im Stall zu Bethlehem im Jahre 6 nach Chr.
- Wegen des Regierungsantritts des tyrannischen Herodes Archelaos kehren im Matthäus-Evangelium Joseph und Maria mit dem zweijährigen Jesus nicht dorthin zurück, sondern lassen sich, wiederum einer Anweisung im Traum folgend, in Galiläa in der Stadt Nazareth nieder.
- Zwischen der Geburtszeit, die bei Matthäus angegeben oder vielmehr zu schließen ist, 6 Jahre vor Chr., und der Angabe des Lukas, 6 Jahre nach Chr., liegen mithin zwölf Jahre.
Der Beginn der christlichen Zeitrechnung liegt in der Mitte dieser beiden Angaben, deren Daten sich gleichsam über das Jahr Eins spiegeln.
- Auf ähnliche Weise wie Silvester, der Tag vor Jahresbeginn am 1. Januar in der Mitte zwischen den 12 Rauhnächten liegt, die von der Heiligen Nacht zum 25. Dezember bis zum Fest Epiphanie am 6. Januar dauern, sodass sich Heilig Abend und Epiphanie über den Jahresanfang spiegeln.
- Was man in den 12 Rauhnächten träumt, so heißt es, beziehe sich auf die folgenden 12 Monate. Eine rhythmische Anlage.
Dionysius Exiguus und das Jahr Eins
- Die christliche Zeitrechnung mit dem Jahr Eins und der Einteilung "vor Christus" und "nach Christus" entwickelte sich erst später, zum Ende der Antike hin. Erstellt wurde sie im 6. Jahrhundert von dem skythischen Mönch und Gelehrten Dionysius Exiguus. Anlass war die Berechnung des Osterfestes, das nach christlicher Tradition stets auf den ersten Sonntag nach Vollmond nach Frühlingsanfang fallen sollte. Es folgt daraus ein Osterfest-Zyklus von 532 Jahren. Das ist die Zeit, nach der Ostersonntag im Julianischen Kalender wieder auf das gleiche Datum nach Frühlingsanfang fällt.
- Die Zahl ergibt sich aus dem Meton-Zyklus der Sonne-Mond-Wiederkehr, jenen 19 Jahren, nach denen Sonne und Mond im Tierkreis wieder an gleicher Stelle und im gleichen Verhältnis zueinander stehen. Der Vollmond findet also nach 19 Jahren wieder annähernd auf dem selben Tierkreisgrad bzw. dem gleichen Datum statt. Nicht jedoch am gleichen Wochentag. Damit der erste Sonntag nach Frühlingsvollmond wieder auf das gleiche Datum fällt, muss der Meton-Zyklus mit dem 28-jährigen Sonnen-Zyklus im Julianischen Kalender multipliziert werden, der die Wiederkehr von gleichem Datum und Wochentag angibt. 19 Jahre mal 28 Jahre ergeben 532 Jahre. Das ist die Zeit, nach der Ostersonntag wieder auf das gleiche Datum nach Frühlingsanfang fällt - der Oster-Zyklus.
- Im Jahre 526 nach Chr., als Dionysius seine Berechnung anstellte, zählte man im Christentum die Jahre nach der Diokletianischen Ära, die mit dem Jahr des Regierungsantritts Diokletians, 284 n. Chr. begonnen hatte.
Dionysius stellte nun im Jahre 526 n. Chr., damals noch 241 nach Diokletian, fest, dass sich in 6 Jahren, also im Jahre 247 nach Diokletian, ein 532-Jahreszyklus runden würde, der 4 Jahre nach dem Tode des Herodes begonnen hatte. Erstmals nach dieser Zeit würde Ostern, also der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang wieder auf das gleiche Datum fallen.
Dionysius legte das Jahr Eins auf den Beginn dieses Zyklus fest und setzte nach römischer Tradition den ersten Januar als Jahresbeginn. Das genaue Geburtsdatum Jesu zu definieren, soll dabei nicht sein Anliegen gewesen sein.
Auf diese Weise wurde das Jahr 247 nach Diokletian zum Jahre 531 nach Christus. Zunächst setzte sich diese Zählung hauptsächlich im kirchlichen Bereich durch. Als Grundlage eines offiziellen Kalenders fand sie erst mit der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahre 800 nach Chr. allgemeine Anwendung und Verbreitung.
Sechs Jahre vor und sechs Jahre nach Chr.
- Aber offenbar hatte Dionysius nicht nur die mehr oder weniger willkürliche Einsetzung einer neuen Jahreszählung im Sinn. Dass der Beginn seiner christlichen Zeitrechnung etwa in die Mitte der 12 Jahre fällt, durch die sich die Angaben der beiden Evangelisten zur Geburt Jesu unterscheiden, war ihm sicherlich bekannt.
- Nicht nur die Daten zur Geburt Jesu unterscheiden sich bei Lukas und Matthäus - auch die Abstammungsreihe Jesu ist bei Matthäus eine andere als bei Lukas. Beiden gemeinsam ist die Abstammung von David, gemäß der Vorhersage, der Messias komme aus dem Hause David. Jedoch zweigt bei Matthäus die Generationenfolge von Davids Sohn Salomon ab, während diese bei Lukas über Nathan, einem anderen Sohn Davids, weitergeführt wird. **
- Jedenfalls weisen die 12 Jahre Unterschied bei Matthäus und Lukas, zu, je nach Zählung, 6 Jahren vor und 6 Jahren nach der Zeitenwende, auf eine mögliche Systematik der unterschiedlichen Daten bei beiden Evangelisten hin.
- Es scheint, als sei die Differenz zwischen den Geburtsdaten des Matthäus-Evangeliums und den Geburtsdaten des Lukas-Evangeliums bewusst erhalten geblieben. Als habe sie eine Bedeutung und als seien die beiden Texte in ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander bezogen.
- Es fällt auf, dass die christliche Zeitrechnung des Dionysius nicht nur 6 Jahre nach den Angaben zu Jesu Geburt bei Matthäus und 6 Jahre vor den Angaben zu Jesu Geburt bei Lukas beginnt, sondern dass auch die späteren Daten über den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu und über die Kreuzigung mit der Zählung und dem Jahr Eins des Dionysius übereinstimmen.
Pessach, 3. April 33
- So gibt Lukas 3,1 an, Johannes der Täufer habe im 15. Jahr der Regentschaft des Kaisers Tiberius zu wirken begonnen. Tiberius wurde im Jahre 14 nach Chr. Kaiser von Rom. Da Johannes als Prediger und Prophet bereits bekannt war, haben sich die Begegnung mit Jesus und die Jordantaufe einige Monate später ereignet. Wenn Lukas berichtet, dass Jesus etwa 30 Jahre alt war, als er nach der Jordantaufe öffentlich zu wirken begann, datiert er die Geburt Jesu offenbar um das Jahr Eins.
- Und damit im Widerspruch zu jener Angabe zuvor, nach der Jesus zur Zeit der Volkszählung "als Quirinius Statthalter in Syrien war" geboren wurde, im Stall zu Bethlehem.
- Die Schrift des Johannes bestätigt allerdings die Angabe, die Lukas über den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu macht. In Johannes 2,20 entgegnet man Jesus, der im Hinblick auf seinen Tod und die Auferstehung gesagt hatte, er könne den Tempel binnen drei Tagen wieder aufbauen: "Dieser Tempel ist seit sechsundvierzig Jahren im Bau, und Du wirst ihn in drei Tagen wieder errichten?“
Herodes der Große hatte mit dem Neubau des Tempels etwa 18 - 16 vor Chr. begonnen. Das Streitgespräch, das zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu stattfand, hätte damit im Jahre 29 - 30 nach Chr. stattgefunden.
- Offenbar haben die unterschiedlichen Angaben zur Geburt eine Bedeutung, auch wenn diese sich noch nicht erschließt.
- Hingegen lässt sich das Datum der Kreuzigung anhand der berichteten Umstände recht genau bestimmen: Nach Johannes wurde Jesus am Vortag zu Pessach gekreuzigt.
- Die Kreuzigung fand unter der Verwaltung des römischen Präfekten Pontius Pilatus, der in Judäa von 26 bis 36 regierte, statt. Als Todestag wird bei Matthäus, Lukas und Markus der Pessach-Festtag nach dem Rüsttag genannt. Dies wäre am Schabath, dem fünfzehnten Tag des ersten lunisolaren Monats nach Frühlingsanfang, also am 15. Nisan.
Bei Johannes wird hingegen der Rüsttag genannt, also Freitag der 14. Nisan. Der folgende Tag und damit Pessach beginnt jedoch nach jüdischer Zählung am Abend, insofern könnte die zeitliche Differenz gering gewesen sein. ***
Nach dem jüdischen Lunisolarkalender fiel während der Amtszeit von Pontius Pilatus der Freitag vor Pessach nur zweimal auf einen 14. Nisan: Freitag, der 7. April 30 und Freitag, der 3. April 33.
Das Jahr 30 wäre den übereinstimmenden Angaben der Evangelisten nach zu früh. Das Jahr 33 dürfte damit das zutreffende sein.
- Markus berichtet, Jesus sei um die neunte Stunde gestorben. Die Stundenzählung begann um sechs Uhr morgens, die neunte Stunde entspricht drei Uhr nachmittags. Jesus starb demnach am 3. April 33 um 3 Uhr nachmittags im Alter von 33 Jahren. Diese Angabe macht auch Rudolf Steiner.
- Wie ein Schnitt zweier Geburtsdaten mutet der Beginn der christlichen Zeitrechnung an. Ähnlich, wie der Jahresanfang am 1. Januar in die Mitte zwischen der Weihnachtsnacht und Epiphanie am 6. Januar fällt, sechs Tage vorher und sechs Tage nachher.
- Die Berichte um die Geburt scheinen zusammengestellt, als sei nicht gewollt, dass sich ein genaues Geburtsdatum Jesu ergibt.
- Aber die Magoi aus dem Osten hatten doch eine astrologische Prognose, aufgrund derer sie sich aufgemacht haben.
- Schon, aber sie hatten nur den Hinweis des Sterns gesehen und sie wussten auch den Ort nicht. Ein Horoskop im heutigen Sinne dürfte es also kaum gewesen sein. .
- Die Unterschiedlichkeit der Berichte von Lukas und Matthäus bleibt aber ein Rätsel. Eine Unterschiedlichkeit, die sich über zweitausend Jahre erhalten hat. Bei einer von theologischer Willkür geleiteten Zusammenstellung der biblischen Schriften hätte man annehmen können, vermeintliche Widersprüche würden wegfallen. Hier hat man aber gerade die zwei Schriften des Lukas und des Matthäus als Eckpfeiler einer Viergestalt der Evangelien belassen.
- So, wie auch eine andere Widersprüchlichkeit: Zu den sieben letzten Worten, die Jesus am Kreuz sprach, gehört der Satz: "Eli, Eli, lama schabachthani," für den anschließend die schriftinterne Übersetzung angegeben wird. "Das heißt 'Mein Gott, warum hast du mich verlassen'"
Diese Übersetzung trifft jedoch nicht zu. Schabachthani vom Substantiv Schebach - שבח - bedeutet sowohl im Hebräischen wie auch im Aramäischen erhöhen, preisen. Luther meinte, diese vermeintliche Unstimmigkeit korrigieren zu müssen und fügte in seiner ersten Bibelübersetzung an dieser Stelle das Wort asaphthani aus dem 22. Psalm ein, das tatsächlich verlassen bedeutet. Dieser Eingriff wurde später rückgängig gemacht, sodass dieser Widerspruch auch in den meisten protestantischen Bibelübersetzungen bestehen blieb.
- Jemand sagte dazu: "Es ist beruhigend zu wissen, dass das Mysterium in der Lage ist, sich selbst zu schützen."
Die Schrift wird mitunter als Konstrukt betrachtet. Tatsächlich ist sie ein Gewachsenes. Und letztlich nur aus sich selbst zu verstehen.
- Der Umgang mit der Schrift sollte sein, wie mit einem Menschen: Sie ist als Gegenüber, als Gestalt zu erfassen. Und so wie man der Aussage eines Menschen nicht gerecht wird, wenn man sie skeptisch, als von zeitlichen und psychologischen Umständen bestimmt betrachtet, anstatt ihr Wort zu achten und sie als Gegenwart zuzulassen, verhält es sich auch mit den Evangelien. Sie sind ein Gegenüber und sprechen als Bild, unabhängig von den historischen Umständen ihrer Entstehung und sonstiger Kriterien, die außerhalb des Systems der Geschlossenheit ihrer Gestalt liegen. Nur so können sie ihre Sprache entfalten und ihr Geheimnis gegenwärtigen.
- Nicht ohne Grund werden die vier Evangelisten traditionell mit der Viergestalt am Throne Gottes in der Schau des Ezechiel verbunden, den vier Cherubim.
Matthäus
Lukas
Markus
Johannes
Die vier Evangelisten in der Gestalt der vier Cherubim aus der Vision des Ezechiel.
Ausschnitte aus einer karolingischen Buchmalerei, Essener Domschatzkammer
- Einer mit dem Gesicht eines Menschen, einer mit dem eines Löwen, einer mit dem eines Stiers und einer mit dem eines Adlers. Diese wiederum werden mit den vier fixen Zeichen des Tierkreises identifiziert, der Wassermann als der Mensch, der dem Matthäus zugeordnet wird. Markus wird mit dem Löwen identifiziert und Lukas mit dem Stier. Johannes erscheint als Adler, weil er, so Thomas von Aquin, sich wie der Adler auf den Flügeln des Geistes erhebt. Die Schrift des Johannes steht den anderen drei Evangelien in gewisser Weise gegenüber.
- Daher sind auch die unterschiedlichen Berichte zur Geburt Jesu bei Matthäus und Lukas nicht einfach als Unstimmigkeiten zu betrachten, die in ihren unterschiedlichen Angaben verglichen und ausgewertet werden und so eine statistische Annäherung an eine gemutmaßte historische Wirklichkeit ermöglichen können. Vielmehr steht jede Schilderung für sich - und zugleich in einem Bezug zu der anderen.
- Im Hinblick auf die Geburt ergeben die Schriften den Eindruck, ein genaues Datum sei nicht gewollt. Konkret und widersprüchlich zugleich sind die Angaben. So, als würde der Widerspruch gleichsam die konkrete historische Wirklichkeit feststellend auf ein Geheimnis verweisen, das nicht zu fassen ist.
- Wie auch immer, es wäre ohnehin nicht zu ermitteln. Es bliebe der wie auch immer gearteten und motivierten Spekulation überlassen. Oft aufgrund von Kriterien, die, wie der Theologe Klaus Berger bemerkt, "meist mehr über diejenigen aussagen, die sie aufstellen, als über Jesus."
- Im Zen-Buddhismus soll es ein Koan geben, eine paradoxe Weisung an den Schüler, die auf der Ebene der Sachlichkeit nicht zu fassen ist: Der Lehrer klatscht in die Hände und sagt: Höre das Klatschen der einen Hand.
- Die unbefangene Weise sich dem Geheimnis der Geburt Jesu zu nähern, ist die des Bildhaften, wie in den Evangelien und Überlieferungen vermittelt, da das Licht der Welt geboren wird - zur Mitte der dunkelsten Zeit des Jahres, "wohl zu der halben Nacht".
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(C) Herbert Antonius Weiler, Dezember 2023/2024
*
Klaus Berger datiert die Entstehung der schriftlichen Evangelien in folgender Reihung: Die Schrift des Markus entstand spätestens im Jahre 45 n. Chr., die Schrift des Matthäus zwischen 50 und 60, die des Lukas spätestens 66 und die Schrift des Johannes kurz vor 70 n. Chr. Spätere Entstehung bedeute keineswegs geringere Authentizität oder Abhängigkeit, auch Ähnlichkeiten des Erzählten, so Berger, seien nicht als Abhängigkeit zu deuten.
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Rudolf Steiner spricht von zwei Jesusknaben. Er nennt, den unterschiedlichen Genealogien bei Matthäus und Lukas entsprechend, den salomonischen Jesus und den nathanischen Jesus. Der ältere, salomonische Jesus soll gestorben sein und seine Person soll sich beim Ereignis der Tempelpredigt mit zwölf Jahren mit dem nathanischen Jesus vereinigt haben.
Der Christus soll dann im Alter von 30 Jahren bei der Taufe am Jordan von Jesus aufgenommen worden sein, entsprechend dem Bericht des Markus, nach dem "sich der Himmel auftat, und der Geist gleich wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." (Markus,1,11)
Drei Jahre, bis zur Kreuzigung und Auferstehung, habe Christus öffentlich gewirkt. In der orthodoxen und morgenländischen Kirche wird das Fest der Jordantaufe am 6. Januar als das Weihnachtsfest gefeiert.
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Eine weitere Erklärung der unterschiedlichen Aussagen zu Abendmahl, Rüsttag und Pessach bei Johannes und den drei anderen Evangelisten ergibt sich aus der unterschiedlichen Feiertagszählung einiger jüdischer Gemeinden, etwa den Essenern, Bei ihnen begannen einige Feste bereits einen Tag zuvor. Ein Hinweis, dass das letzte Abendmahl bei bei einer bestimmten Gemeinde gefeiert wurde, findet sich bei Markus, der berichtet, Jesus habe zwei seiner Jünger ausgeschickt, den Saal auszusuchen, mit den Worten: "Geht in die Stadt; da wird euch ein Mensch begegnen, der einen Wasserkrug trägt; dem folgt, und wo er hineingeht, da sagt zu dem Hausherrn: Der Meister lässt fragen: Wo ist das Gastzimmer, in dem ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann? Und er wird euch einen großen Obersaali zeigen, der mit Polstern belegt und hergerichtet ist; dort bereitet es für uns zu." (Markus, 14,13)
Wasser vom Brunnen zu holen war traditionell den Frauen vorbehalten. Bei den Essenern und anderen Gruppierungen trugen jedoch auch die Männer das Wasser. Daher die Anweisung Jesu, die Jünger sollten einem Mann folgen, der einen Wasserkrug trägt.
© H e r b e r t A n t o n i u s W e i l e r